Disillusion – Ayam

Wenn ein kleines Sandkorn eine ganze Lawine auslöst

Artist: Disillusion

Herkunft: Leipzig, Deutschland

Album: Ayam

Spiellänge: 59:23 Minuten

Genre: Progressive Metal

Release: 04.11.2022

Label: Prophecy Productions

Link: www.disillusion.de

Bandmitglieder:

Gesang, Gitarre – Andy Schmidt
Gitarre – Ben Haugg
Bassgitarre, Gesang – Robby Kranz
Schlagzeug – Martin Schulz

Tracklist:

  1. Am Abgrund
  2. Tormento
  3. Driftwood
  4. Abide The Storm
  5. Longhope
  6. Nine Days
  7. From The Embers
  8. The Brook

Was war Back To Times Of Splendor bitte für ein Debüt? Klar, Gloria konnte man ebenfalls in Dauerschleife anbieten und dann der tiefe Cut. Die Rede ist von der Leipziger Band Disillusion um Andy Schmidt, der zum Glück mit The Liberation 2019 wie ein Phönix aus der Asche erschien. Mit Ayam gibt es neues Material, welches die Haare auf den Armen schnell zum Stehen bringt. Was ich den Jungs weiterhin krummnehmen muss, ist die gestrichene Show vor einigen Jahren in Leer, die nie nachgeholt wurde. Bevor dieses Review zum Werben für eine Show im tiefsten Nordwesten ausufert, erzähle ich lieber mehr über die neuen acht Werke. Immer noch modern unterwegs, bleiben sie dem neuen Progressive Metal Korsett treu. Wer Disillusion kennt, weiß selber, dass man die Band nicht in ein Genre zwängen kann. Frei von allem und jedem, machen die Deutschen ihr ganz eigenes Ding. Elektronisch versetzt, springen sie in melodische Death Metal Sequenzen, um daraufhin in progressive Sümpfe abzutauchen, die kein Ende kennen. Wer mit einem elf Minuten starken Opener anfängt, ist entweder überheblich, möchte den Hörer aus Prinzip verprellen oder versteht die Musik wie kaum ein anderer. Aus meiner Sicht liefert Andy Schmidt abermals ein Gespür zum experimentellen Metal wie kaum ein anderer Künstler in unserer Republik. Getragen von Ben Haugg an der zweiten Gitarre sowie von Bassist Robby Kranz, der auch gesanglich Höhepunkte setzen kann, lassen sie gemeinsam mit Martin Schulz am Schlagzeug Andy zu keiner Sekunde im Regen stehen.

Disillusion Live 2022 in Berlin

Mehrfach hören ist Pflicht, um Disillusion verstehen zu können!

Verstrickt, vertrackt und mit einer großen Portion Wahnsinn versehen, ergießt sich Tormento mit all seinen Emotionen über den Hörer. Wenn die Dunkelheit gar nicht erst versucht, dem grellen Sonnenschein nur einen Millimeter Platz zu schenken, dann befindet ihr euch mitten in Ayam. Wärme und Geborgenheit bleibt ein Fremdwort, ohne jedoch feindlich zu wirken. Ablehnend, aber trotzdem mit einer ausgestreckten Hand vereinen die Leipziger alles, was einem progressiv versierten Metalhead in den tiefsten Träumen in den Kopf schießt. Die vier Musiker haben nicht einfach nur ein Album geschrieben, sondern Emotionen vertont, die einem einen kalten Schauer auf den Rücken zaubern. Driftwood ist Anwärter zum Song des Jahres – in sechs Minuten pflügen die Riffs durch tiefe Täler und weite Ebenen. Umgarnt vom aufsteigenden Nebel, trägt dieser Driftwood als Wolkenkissen gen Horizont. Wie ein Kleinkind, das seinem mit Helium gefüllten Luftballon hinterherblickt, der immer kleiner werdend in der Ferne nachhaltig im Kopf bleibt, kann man die Augen nicht von diesem Highlight lassen.

Einfach kann jeder!

Nur, diesen Weg gehen Disillusion bereits seit Back To Times Of Splendor nicht. Abide The Storm fängt damit weiß Gott nicht an. Harmonisch, mit disharmonischen Ankern versehen, laufen zwei Welten beim nächsten Elf-Minuten-Epos parallel zueinander. Andächtig erklingt Longhope. In der Ruhe liegt die Kraft! Ohne im Dunkeln zu stolpern, geht es über Nine Days weiter. Behutsam wie beharrlich kommt das Ende langsam näher. Den Schlusspunkt bilden From The Embers und The Brook gemeinsam. Völlig unbeeindruckt lassen die beiden Kompositionen das vierte Studioalbum ausklingen. Chapeau Disillusion!

Disillusion – Ayam
Fazit
Viel erwartet und mit Ayam noch mehr bekommen. Disillusion servieren kein gutes Album, sondern gleich ein grandioses. Keine Sekunde wird sinnlos verschwendet, jeder Augenblick mit Leben gefüllt, fallen die kleinen Tropfen auf den Boden, um nach einer Stunde als reißender Fluss ins Meer zu münden. 

Anspieltipps: Am Abgrund, Tormento und From The Embers
René W.
9.5
Leser Bewertung9 Bewertungen
8.5
9.5
Punkte