Leprous Malina

Leprous – Malina

“Malina – Eine Stunde tongewordene Schönheit”

Artist: Leprous

Herkunft: Oslo, Norwegen

Album: Malina

Spiellänge: 58:56 Minuten

Genre: Progressive Rock, Experimental Rock

Release: 25.08.2017

Label: Inside Out Music

Link: www.leprous.net

Bandmitglieder:

Gesang, Synthesizer – Einar Solberg
Gitarre – Tor Oddmund Suhrke
Schlagzeug – Baard Kolstad
Bassgitarre – Simen Børven
Gitarre – Robin Ognedal

Tracklist:

01. Bonneville
02. Stuck
03. From The Flame
04. Captive
05. Illuminate
06. Leashes
07. Mirage
08. Malina
09. Coma
10. The Weight Of Disaster
11. The Last Milestone

Leprous Malina

Nach dem 2016er Live At Rockefeller Music Hall kehren Leprous mit Malina nun zurück mit 11 neuen Tracks. Das 2015er The Congregation war schon eine Klasse für sich und mit ihrem neuen Werk schicken sie sich an, dem Ganzen noch das Sahnehäubchen aufzusetzen. Aber dazu gleich mehr. Leprous sind im Progrock-Genre für mich so etwas wie Exoten. Polyrhythmen, die aber nicht sperrig oder nur Mittel zum Zweck sind, treibende Basslinien, ungewohnte Keyboardsounds, die aber nie billig ider einfallslos klingen, sondern auch ein Gitarreneffekt sein könnten, tiefe Melancholie und düstere Atmosphäre, eine äußerst prägnante Stimme, die wundervolle Melodien hervorbringt und dabei die düstersten Bekenntnisse preisgibt…die Band versteht diese Zutaten hervorragend und einzigartig umzusetzen. Mit Malina, dessen Namen sich – ich kann nur raten – von der Sonnengöttin der auf Grönland lebenden Inuit ableitet, die einst, so die Sage, von ihrem Bruder vergewaltigt wurde und in den Himmel flüchtete und dort zur Sonne wurde, während ihr Bruder, der sie verfolgte zum Mond wurde ist nun das siebte Werk (und das fünfte Studioalbum) der Norweger und das hat es in sich.

Los geht es nun auf Malina also mit Bonneville, einer eingangs sehr reduzierten Nummer, die gesanglich extrem an Agent Fresco erinnert – zerbrechlich, dynamisch fein dosiert. Die Spannung wird lange und klug durch die Instrumente aufgebaut, bis sie bei Min. 04:12 in einer großen Auflösung mündet. Und trotz der Spiellänge von 05:28 Min. verliert der Song seinen Opener-Charakter nicht.
Die Überleitung in Stuck, den es als Single vorab gab (das Video findet ihr am Artikel-Ende) ist nahezu perfekt. Und aus dem stotternden Beat des ersten Songs heraus geht es in eine fließende Komposition über, die beinahe Pop-Charakter besitzt, welche aber von Leprous ihren ganz besonderen Glanz und schöne Details erhält. Hier ist nichts überproduziert, sondern alle Instrumente klingen authentisch und organisch – und ein Streicher-Part untermauert die Dramatik des Songs zusätzlich, der auch perfekt mit den Keyboardsounds harmoniert.

From The Flame – auch eine Single – erhöht den Melancholie-Faktor um einige signifikante Prozentpunkte und die Band startet direkt mit dem epischen Refrain. Kompositorisch eher zurückhaltend aufgebaut stehen hier Melodie und Dramatik im Vordergrund. Schön ist das Knurren des Bass von Simen Børven, das den Refrain nachdrücklich einleitet. Captive ruckelt mit verschobenen Betonungen und Stakkato-Gitarren und steht Pate für den umfangreichen Dynamikeinsatz der Band, die es einfach versteht, Spannung zu erzeugen, Feinsinniges an den richtigen Stellen einzusetzen und Wucht im passenden Augenblick zuzulassen.

Illuminate – die dritte Single – ist wieder ein Song, bei dem Sänger Einar in den Fokus gerückt wird – wenngleich seine derart phantastische und auffällige Stimme bei den anderen Songs der Platte kaum weniger präsent wahrgenommen werden kann. Alle Instrumente harmonieren rhythmisch perfekt im Outro-Part. Leashes öffnet der Melancholie erneut die Türen und Einars Stimme wehklagt zart, verloren und verhalten „No salvation to be found„. Der emotionalen Tiefe setzt der wuchtige Refrain dann auch die Dornenkrone auf.

Mirage startet mit beinahe 80s lastigen Synthies, die in schwere Bass- und Gitarrenbendings überleiten. Einar navigiert sich erzählartig gekonnt um monotone Melodielinien der Saiteninstrumente herum und mündet in einem luftmachenden und befreienden Refrain. Bassist Simen erhält zum Ende gar eine besondere Aufmerksamkeit, um die Überleitung in einen phantastischen Outropart vorzubereiten. Würden die Gitarren nicht soviel organischen Holzcharakter aufweisen, man hätte dem Partt beinahe das Prädikat Djent geben können.

Der Titeltrack Malina beginnt ähnlich fein wie der Opener und gipfelt in einem freien orchestralen Arrangement, bestehend aus Streichern, Pauken und klassischen Rock-Elementen. Einars Stimme steht über allem und führt das für einige vielleicht als Chaos anmutende Konglomerat an. Coma weckt den Hörer dann wieder aus der verwirrten Ruhe und drückt mit flächigen Drums und einem präsenten Gitarrenriff, das sich durch den gesamten Song zieht und gar von den Streichern mit übernommen wird. Vielleicht aber auch eine eher schwache Nummer des Albums, für mich persönlich.

Das vorletzte Stück The Weight Of Disaster spielt auch wieder mit dem Spannungsaufbau in der Strophe, um dann im Refrain zu voller Blüte zu finden. Die Band spendiert der Nummer noch ein beinahe psychedelisches Outro, das dennoch mit einem Grundrepertoire Epik aufwarten kann.
Über 07:30 Min. zieht sich dann The Last Milestone, das letzte Stück der Platte. Choral, sakral, voller Melancholie und Trauer setzt der Song dem Hörer emotional bis zur Gänsehaut zu – spätestens, wenn die Violine Einar ablöst und versiert in ihr Melodiesolo, das mit dem Hörer zu sprechen scheint einstimmt. Es scheint eine Art Kommunikation oder Dialog zwischen Einar und den Streichern stattzufinden, Zustimmung und Widerspruch, Begleitung und Zurückweisung. Überragend.

Viermal solange haben Leprous für das neue Album gebraucht wie für die Vorgänger. Wie es dazu kam und dass es weder Trägheit noch Kreativlosigkeit (man konnte auf 30 Ideen zurückgreifen), waren, die diesen Aufwand bedingten, erklärt das folgende Zitat der Band:

This album needs to sound more alive, more organic and more dynamic. The longer into the process the more obsessed we got with this idea”.

David Castillo von den Ghostward Studios wurde für die Aufnahmen angeheuert, um den Sound der Band im Studio und nicht in der Postproduktion zu definieren. Jens Bogren, der bereits The Congregation, Coal und Bilateral gemischt hatte durfte auch an Malina Hand anlegen und dem Werk den finalen Schliff verpassen. Kaufen könnt ihr die Platte z. B. beim Label in verschiedenen farbigen Vinyl-Versionen.

Zu folgenden Songs hat die Band Musikvideos veröffentlicht:

Leprous – Illuminate

Leprous – From The Flame

Leprous – Stuck

Im Herbst/Winter ist die Band auf Headliner-Tour mit Agent Fresco in Deutschland. Alle Tourdaten findet ihr hier.

Fazit: Leprous, die in Progrock-Kreisen bereits eine beachtliche Reputation genießen haben mit Malina ein tiefgängiges, emotionales und versiertes 7. Werk abgeliefert. Oberflächlich steht Einars Stimme über allem. Lässt man sich aber auf die Songs ein, merkt man schnell, dass hier eine musikalische Einheit besteht, in der alle Musiker das tun, was am besten für die Band und die Platte ist, sowohl rhythmisch wie auch melodisch. Die Vertonung von Dramatik und Melancholie ist durch vielfältige Dynamikeinsätze extrem stimmig umgesetzt und Einars Erzählungen finden ihr mehr als passendes akustisches Gewand. Von experimentellen und schwer zugänglichen Nummern über offenarmige Songs bis hin zu Orchester ähnlichen Arrangements bietet Malina alles, um keine Langeweile aufkommen zu lassen und immer wieder Neues zu entdecken.

Anspieltipps: Stuck, From The Flame, Mirage
Sebastian S.
9
Leser Bewertung7 Bewertungen
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