MyGrain: wir haben bereits in das neue Studioalbum „V“ reingehört

Alle Tracks der finnischen Senkrechtstarter in der Analyse

Artist: MyGrain

Herkunft: Helsinki, Finnland

Album: V

Spiellänge: 49:04 Minuten

Genre: Melodic Death Metal

Release: 02.10.2020

Label: Reaper Entertainment

Link: https://www.facebook.com/pg/MyGrain/about/?ref=page_internal

Bandmitglieder:

Gesang – Tuomas „Tommy“ Tuovinen
Gitarre – Teemu Ylämäki
Gitarre – Joni Lahdenkauppi
Bassgitarre – Jonas Kuhlberg
Schlagzeug – Janne Mikael Manninen

Tracklist:

  1. The Nightmare
  2. Out Of This Life
  3. Summoned Duality
  4. The Way Of The Flesh
  5. Haunted Hearts
  6. The Calling
  7. Game Of Gods
  8. Stars Fading Black
  9. Fathomless Freefall

Als kleine Einleitung, bevor wir uns auf V, das fünfte Album von MyGrain stürzen: Vor 16 Jahren wurden MyGrain im finnischen Sommer in der Hauptstadt Helsinki gegründet. Mit dem Silberling Orbit Dance, zwei Jahre nach der Gründung, offenbarten sie ein modernes Geschoss, welches neben den europäischen Noten auch amerikanische Melodielawinen lostreten konnte. Mit dem dritten Langeisen wurde der Space Metal gegründet, der gleich als Titelträger fungieren durfte. Kleines Manko, welches MyGrain aktuell vielleicht noch mit sich herumschleppen: die Ruhephase von 2015 bis 2018. Doch am Ende setzt sich Qualität durch, wie man eindrucksvoll vor zwei Jahren mit der EP III aufgezeigt hat. Wohin die Reise jetzt geht, wollen wir euch in den nächsten Sätzen näherbringen.

Beginnen wir mit dem Opener The Nightmare und versuchen mal, das klassische Schubladendenken zum Einsatz zu bringen. Die Finnen zaubern alles aus dem Hut, was ihre Heimat an Genreauswüchsen zu bieten hat, trotzdem kann man MyGrain zu keiner Zeit ein Klonverhalten von einer einzelnen Größe vorwerfen. Bei The Nightmare schwingen Soilwork, Amorphis oder auch Children Of Bodom hörbar mit. Die Clean Parts haben ein hohes Niveau, die griffigen Riffs können die gewünschte Härte mit ins Spiel bringen und motivieren Teemu Ylämäki und Joni Lahdenkauppi auszuprobieren, wie strapazierfähig ihre Tragflächen an den Gitarren sind.

Sänger Tuomas „Tommy“ Tuovinen bringt gewaltsam den Übergang zu Out Of This Life. Das Ergebnis: Die Attacken auf die Felle vom Schlagzeuger Janne Mikael Manninen fallen noch wüster aus. Der zweite Track verkörpert das Motto „Zuckerbrot und Peitsche“ so hörbar wie kein anderer Titel der Platte. Einen großen Einfluss darauf hat Jonas Kuhlberg am Bass, der die Peitsche stimmig zum Sausen bringt. Die Gitarrenläufe brechen aus dem Korsett aus, wo immer es nur geht und hinterlassen Cildren Of Bodom Moves, die schnell abgeschüttelt werden. Der Clean Gesang Refrain hinterlässt einen weiteren positiven Eindruck.

Hell yeah, Summoned Duality kann noch einen darauflegen. Kennt einer von euch noch Before The Dawn um Mastermind Tuomas Saukkonen, den ich persönlich sehr schätze? Genau in diese Lücke schießen die Musiker immer hörbarer und beerben die guten alten Tage mit den Anfängen der Combo, die meiner Meinung nach viel zu früh zu Grabe getragen wurde. Genau da liegt wiederum die Chance für Tommy und Konsorten, die es schaffen, verschiedenste Gesangsfarben wohlklingend aneinanderzubinden. Moderne Amorphis Atmosphären dürften hier aufmerksamen Hörern ebenfalls in die Ohren stoßen. Dieses wiederum offenbart die Vielseitigkeit, die im nächsten Titel noch einen draufsetzt.

The Way Of The Flesh bringt Omnium Gatherum ins Spiel, die wohl froh wären, wenn sie einen solchen Nackenbrecher mal wieder aus dem Hut zaubern könnten. Der Melodic Death Metal springt in Thrash Gefilde und lässt technischen Metalcore zu. Hier ist der deutlichste Spagat zu amerikanischen Krachkapellen vollzogen. Der Refrain sitzt wie die Faust aufs Auge, die walzenden Elemente wirbeln viel Staub auf – wach sollte spätestens jetzt jeder sein.

Ein bisschen Insomnium gefällig? Jetzt werden MyGrain wohl bei Haunted Hearts übermütig. Der erste Eindruck täuscht – schnell geht es in wärmere Fahrwasser und aus übermütig bleibt nur noch das Wort mutig zurück. Die bislang gebotene Performance spricht für blindes Selbstvertrauen. Wenn man die Gehörgänge ganz freilegt, dann kommen einem nach mehreren Durchläufen bei Haunted Hearts die blutigen Folk Metal Gesichter von Turisas vor Augen.

Der Sound ist drückend und pusht nicht nur The Calling. Die sechste Komposition zieht das Tempo deutlich an. Gradliniger als die Vorgänger, versucht man, wie ein taumelnder Boxer kurz vor Ende des Kampfes, diesen mit einem Knockout zu entscheiden. Gesanglich spielt hier wieder vieles. Ecken und Kanten zeigen, ohne übers Ziel hinauszuschießen – das hat man in den anderthalb Jahrzehnten verstanden. Thrashig mit flinken Kick Ass Einlagen bringt The Calling einen explosiven Mittelteil durchs Ziel, um langsam auf die Zielgrade abzubiegen. Die tiefen Beats bringen da ein kleines Zerwürfnis, welches wiederum positiv aufzunehmen ist. Das Songwriting hat einen roten Faden, ohne eine Rolle wie die andere aussehen zu lassen.

Die Produktion lässt keine Wünsche offen. Game Of Gods könnte man auch nach Schweden zu Edge Of Sanity schieben, die wie Before The Dawn einen schmerzlichen Verlust in der Szene darstellen. Keifender, mit Black Metal Anlehnungen, nehmen MyGrain den Schwung mit. Symphonisch beleben sie die triste Landschaft und blasen viele dunkle Gedanken beiseite, um sie gewinnbringend wieder einzubinden. Zuviel verraten möchte ich noch gar nicht, aber wie ihr sicherlich schon merkt, viel Negatives konnte man bislang nicht aufführen.

Moderne Deathstars Griffe kommen bei Stars Fading Black zum Einsatz, der einen Schulterschluss zu Children Of Bodom zulässt. Die Vocals hingegen gehen in eine ganz andere Region und machen einen auf modernen Dark Rock. Ein gewagter Sprung, der, ohne ein Hindernis zu reißen, den Parcours meistert. Mit den flatternden Haaren im Wind galoppiert der Gaul über unwegsames Gelände durch die Landschaft der tausend Seen. Stock und Stein werden mitgenommen. Zwischensequenzen von Janne Mikael Manninen wie Springböcke genutzt, um noch höher und weiter zu gelangen.

Over and out. Fathomless Freefall, der erfrischende Rausschmeißer, unterstreicht das Gesamtgefühl. Ohne Filler kommt V aus und macht bis zum Schluss Dampf. Spätestens jetzt sollte und muss man den Sänger Tuomas „Tommy“ Tuovinen hervorheben, dem man gönnerhaft auf die Schulter klopfen darf. Was für eine Stimme, was für ein Gefühl für die Lücken und Wechsel, da darf man auch mit Fathomless Freefall fast schon gemütlich den Silberling auslaufen lassen. Ganz ohne Ausbrüche geht es nicht, die letzten zwei Minuten fungieren als Gnadenstoß, bis der Dolch aus dem immer noch pulsierenden Herz gezogen wird.

Mein Fazit: Mit V haben MyGrain ihr bislang stärkstes wie vielseitigstes Album eingespielt. Für das graue Mittelmaß kann man die Männer aus Helsinki nicht mehr missbrauchen. V bringt sie noch weiter auf die Überholspur, ob man möchte oder nicht. Da haben nicht wenige Genregruppen das Nachsehen. In diesem Herbst überrollt Tuomas „Tommy“ Tuovinen so manchen Favoriten und man kann nur hoffen, dass der verdiente Erfolg auch beim Fan ankommt. Wer die Jungs noch nicht kennt: Hört euch das alte Material an und lasst euch sagen, V wird alles Gehörte noch ohne Probleme übertreffen. Von mir würden sie um die neun von zehn Punkten erhalten.