The Hirsch Effekt Eskapist

The Hirsch Effekt – Eskapist

“Die Flucht nach vorne”

Artist: The Hirsch Effekt

Herkunft: Hannover, Deutschland

Album: Eskapist

Spiellänge: 01:01:08 Std.

Genre: MathCore, Progressive Metal, Post Punk, ArtCore, Tech Metal, Rock

Release: 18.08.2017

Label: Long Branch Records

Link: http://www.thehirscheffekt.de/

Bandmitglieder:

Bassgitarre und Gesang – Ilja John Lappin
Schlagzeug – Moritz Schmidt
Gitarre, Gesang –  Nils Wittrock

Gastmusiker:

Programmierung, Arrangements, Cello, Klavier und Perkussion – The Hirsch Effekt
Gesang – Tim Tautorat , Michael Lettner
Streicher – Tim Tautorat (Geige), Josa Gerhard (Bratsche), Philipp Schwendke (Kontrabass)
Bläser – Connie Trieder (Flöte), Florian Menzel (Trompete), Sebastian Borkowski (Saxophon), Christian Gastl (Saxophon), Robert Hedemann (Posaune)
Klavier – Max Trieder

Produzenten:

Tim Tautorat, Max Trieder, The Hirsch Effekt
Mix – Tim Tautorat
Mastering – Jens Bogren

Tracklist:

01. Lifnej
02. Xenophotopia
03. Natans
04. Coda
05. Berceuse
06. Tardigrada
07. Nocturne
08. Aldebaran
09. Inukshuk
10. Autio
11. Lysios
12. Acharej

The Hirsch Effekt Eskapist

Den Header dieses Artikels zu schreiben bedarf es beinahe mehr Akribie als das Verfassen des Dokumentes selbst. Von den drei doll- und tollwütigen Hannoveraner Vollblutmusikern namens The Hirsch Effekt habe ich das erste Mal 2010 bei einem Freund gehört, als er mir Epistel von der ersten Holon-Ausgabe Hiberno zeigte. Deutsche Rock-/Metalmusik jenseits von mythischen Fabelwesen oder peinlichen Sommer Sonne Sonnenschein-Texten im (mein erster Eindruck damals) At The Drive-In-Stil mit experimentellerer Basis. Ich war umgehend hin und weg. Nun hat die Band sich in den letzten zwei Jahren massig Unterstützung ins Studio geholt, um nach dem Ende der Holon-Trilogie, abgeschlossen durch das phantastische Agnosie den Nachfolger Eskapist zu formen. Und das Album ist in der ersten Woche direkt in den deutschen Albumcharts auf Platz 21 eingestiegen. Zurecht. Und wieso, lest ihr im nachfolgenden Teil.

The Hirsch Effekt 2017

Kurz vorab: Ich habe die Band (leider erst) zweimal live erleben dürfen und war jedes Mal sprachlos, wie drei Musiker soviel Alarm auf kleinen und großen Bühnen machen können, ohne dabei an Präzision an ihren Instrumenten einzubüßen. Bzw. müssen Ilja und Nils extra Hirnwindungen haben, um Gesang und Fingerfertigkeit an den Griffbrettern zur selben Zeit vereinbaren zu können. Dass die Holon-Trilogie im Plattenregal steht inkl. von der Band selbstgestalteter Pizza-Box soll nicht unerwähnt bleiben. Kurzum: Ich gestehe, Fanboy zu sein. Objektivität könnte unter Umständen in den nachfolgenden Zeilen zeitweise pausieren. Aber wir sind ja nicht bei Gericht unter Eid, sondern bei Time For Metal.

Dieses Album, produziert von Tim Tautorat (AnnenMayKantereit, Turbostaat, In Flames) ist ein Brocken – und seine kryptischen Songtitel machen es nicht minder schwer zu (be)greifen. Über eine Stunde kombinieren die Drei eine wilde und dennoch homogene Mischung verschiedener musikalischer Stile, die sich thematisch teils mit politischen Themen auseinandersetzen (Aldebaran, Berceuse, Xenophotopia) oder menschliche Dramen wie Alkoholismus (Lysios) behandeln, die auch im wahrsten Sinne grenzüberschreitend die Flüchtlingsthematik in Natans anreißen.

Und eigentlich ist es müßig, solch ein komplexes und überraschendes musikalisches Werk Song für Song auf seine Bestandteile, Schwächen oder Stärken runterzubrechen, denn ob und wie man Eskapist begreift, das ist hier eine der größeren ganz persönlichen Herausforderungen jeden Hörers. Ihre Instrumente beherrschen Ilja, Nils und Moritz virtuos inkl. diversester Spielarten (Iljas Basssound ist markerschütternd und geslappt nochmal eine Spur „attackiger“ und gefährlicher) seit Tag 1. Haken dran. Ein Händchen für feine Melodien hat Nils ebenfalls, die er unterstützt von Ilja ausgewogen, wirksam und sinnvoll neben Screaming und Growls einsetzt (für Ungeduldige: Acharej direkt ansteuern). Wäre Moritz ein Schachcomputer, würde ich mein Future-Eigenheim auf ihn im Duell gegen die künstliche Intelligenz Deep Blue setzen.

Müsste ich das Album mit einem Satz beschreiben, würde er vmtl. so lauten:

Eskapist eignet sich hervorragend dazu, die ungeliebte Schwiegermutter auf dem Weg zur Familienfeier entweder vollends zu vergraulen oder ihr ein gnädiges Lächeln zu entlocken, je nachdem, welchen Moment eines Songs man erwischt – und da die Platte so unberechenbar ist, sollte man sich auf einen spannenden und abwechslungsreichen Abend einstellen.

Um ein seitenlanges Essay über Rhythmik, Taktschemata, Spieltechniken usw. usf. zu vermeiden und dem künstlerischen Ansatz der Platte hoffentlich dennoch in Ansätzen gerecht zu werden, versuche ich einfach, die Themen der Songs ähnlich zusammenzufassen, wie sie lyrisch entwickelt wurden. Es ist ein Versuch:

Lifnej

Eine Gerade, die zu einem Kreis gebogen
Im Handeln sich doch selbst belogen
Offensichtlich und gar indifferent
Er mit Bedauern doch sein Schicksal kennt

Xenophotopia

Im Gestern möcht‘ er ewig leben
Was würd‘ er für die Ordnung geben
Tradition und Brüderschaft
Sind gar mehr als ehrenhaft

Natans

Dem eig’nen Leben zu entfliehen
Dem Untergang sich zu entziehen
Die Frage was denn Leben ist
Die Frage, ob Du sicher bist

Coda

Harmonie & Hoffnung

Berceuse

Atemlos und wie in Ohnmacht,
Taub. Und voller Hohn lacht
Der Fahnenschwenker feist und braun
Im rauchgeschwängert’n Morgengrau’n

Tardigrada

Sie dreht sich und hat viel geboren
So alt und auch soviel verloren
Gutgläubigkeit ist ist eine Falle
Das bitt’re Ende für uns alle

Nocturne

Unruhe & Panik

Aldebaran

Scheuklappen, ein großes Maul
trabt und folgt, trotzdem kein Gaul
Liest und macht gar fiesen Dreck
Tritt rein, verteilt, macht es nicht weg

Inukshuk

Sie schichten, richten die schwere Mauer
Aus Angst und Niedertracht ist sie von Dauer
Starr und kalt und nur für sich
Sie kennt es nicht, das Mich und Dich

Autio

Leere & Melancholie

Lysios

In sich selbst so tief verloren
Hoffnung, Ziele, längst vergoren
Was mich leitet ist der Geist
Der mich so gern willkommen heißt

Acharej

Augen zu, die Dunkelheit
In selbstgewählter Einsamkeit
Sovieles doch nun aufgegeben
Wonach lohnt’s sich zu streben?

Das Album gibt es in diversen Medienformaten, auch als schickes Deluxe-Package mit Doppel-Vinyl, Doppel-CD und weiteren Spielereien in einer schönen Box (scheint aktuell ausverkauft zu sein) sowie diversen weiteren Bundles käuflich zu erwerben z. B. hier beim Label: http://longbranchrecords.bigcartel.com/category/the-hirsch-effekt

Wer erstmal reinhören mag, kann das bei allen üblichen Anbietern tun oder direkt hier bei der Band selbst inkl. aller bisher veröffentlichen Musikvideos:

THE HIRSCH EFFEKT LIVE

14.09. Rostock – MAU Club
15.09. Kummerfeld – Ackerfestival
01.10. Köln – Euroblast

ESKAPIST Tour

Support: PeroPero

12.10. Kiel -Schaubude
13.10. Lübeck – Treibsand
14.10. Göttingen – Exil
17.10. Berlin – Nuke
18.10. Dresden – Scheune
19.10. Jena – Rosenkeller
20.10. Leipzig – Felsenkeller
21.10. Marburg – KFZ
25.10. Weinheim – Cafe Central
26.10. Karlsruhe – Jubez
27.10. Frankfurt – Das Bett
28.10. Stuttgart – Goldmarx
29.10. Lindau – Club Vaudeville
30.10. Augsburg – Soho Stage
31.10. München – Backstage Club
02.11. AT, Wien – Viper Room
03.11. Freiburg – Crash
04.11. CH, St. Gallen – Grabenhalle
06.11. Ulm – Club Schilli
07.11. Nürnberg – Z-Bau
08.11. Mainz – Schon Schön
09.11. Hannover – Musikzentrum
10.11. Bremen – Lagerhaus
11.11. Hamburg – Molotow
07.12. Aachen – Musikbunker
08.12. Emden – Alte Post
09.12. Salzwedel – Hanseat
14.12. Oberhausen – Druckluft
15.12. Moers – Bollwerk
16.12. Köln – MTC
10.03. Düsseldorf – Stone im Ratinger Hof

Fazit: Eskapist ist das vielleicht homogenste und dennoch variabelste Album der Hannoveraner. Intensiv, tiefgründig, populär und verschroben. Das Prädikat "Art" vor dem Core schreiben sie sich zurecht auf die Fahne, denn technisches Talent, Präzision und Experimentierdrang gepaart mit einem Sinn für gesellschaftsnahe Themen, umgesetzt in greifbaren und dennoch anspruchsvollen, wachsenden Kompositionen ist wahrhaft künstlerisch und in diesem Fall auch einzigartig.

Anspieltipps: Natans, Berceuse, Inukshuk
Sebastian S.
9.5
Leser Bewertung3 Bewertungen
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