Virgin Steele: 20 Jahre The House Of Atreus Act II – „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past

Zwischen Weltklasse und Kreisklasse unterwegs

Wir befinden uns seit 20 Jahren in einem neuen Jahrtausend. Das legendäre Jahr hat nicht nur kalendarisch eine große Einwirkung auf uns gehabt, sondern ist das Geburtsjahr so manches Metalklassikers. In den 12 Monaten dieses Jahres wollen wir euch daher jeden Monat Alben in einer kleinen Kolumne zurück in eure Ohren bringen. Dabei wurde das Augenmerk nicht nur auf die Großen des Genres geworfen. Ein Kriterium unserer „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe ist, dass die Formation in diesem Jahr auch live unterwegs ist. Nun gibt es aber leider Corona. Von den ganzen geplanten Festivals und Touren ist nichts mehr von da. Aber: Die Band bzw. die Musiker, welche für die damaligen Bands aktiv waren, könnten ja bald wieder auf Tour gehen. So gibt es eine kleine Änderung in unserer Kolumne. Statt „On Tour“ heißt es nun eben „Could Be On Tour“. Im folgenden Teil geht es um Epic Metal, Power Metal, Heavy Metal oder wie die Band selbst sagte „barbarisch-romantischen“ Metal aus New York. Virgin Steele veröffentlichten im Oktober 2000 The House Of Atreus Act II.

Doch blicken wir erst mal zurück in die Geschichte der Band. 1981 wurde die Band mit dem Einstieg von David DeFeis gegründet. Jack Starr (Gitarre) und Joey Ayvazian (Drums) suchten per Zeitungsanzeige nach einem Sänger und wurden mit David fündig. Der brachte auch gleich noch den Bassisten Joe O’Reilly mit in die Band. David und Joe spielten vorher gemeinsam bei Phoenix.

Nach Wochen eifrigen Probens enterte das Quartett ein Studio und spielte für 1000 Dollar innerhalb einer Woche das vermeintliche Demo Virgin Steele ein. Jack verschickte das Teil aber an alle möglichen Fanzines und Labels und erhielt auch prompt Nachricht von Mike Varney, dem Chef von Shrapnel Records, der ankündigte, den Track Children Of The Storm auf den US Metal Volume II Sampler zu veröffentlichen. Das Debütalbum Virgin Steele wurde in Eigenregie hergestellt und an sämtliche Händler der Ostküste geliefert. Zwei Auflagen von jeweils 5000 Stück waren schnell ausverkauft. Schließlich wird man mit dem britischen Label Music For Nations einig und Guardians Of The Flame erschien 1983 sowie mit A Cry In The Night in Europa und Wait For The Night in den Staaten gab es zwei weitere Veröffentlichungen als Mini LP. Der Start war gelungen und die Zukunft verheißungsvoll. Jedoch gab es erste Spannungen zwischen Jack und David. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Herren funktionierte nicht so recht. So verließ Jack Starr die Band wegen Meinungsverschiedenheiten mit David DeFeis über die Ausrichtung. Er versuchte, die Rechte am Bandnamen Virgin Steele zu behalten, verlor sie aber in einem Prozess gegen den Rest der Band um David DeFeis, worauf dieser seinen ehemaligen Schulfreund, den Gitarristen Edward Pursino engagierte, um die Band fortzuführen. Da sich Edward und David kompositorisch ideal ergänzten, entstand 1985 mit Noble Savage eine weitere Langrille. Doch das Album blieb hinter den erwarteten Verkaufszahlen zurück. Es folgte eine Europatour als Vorgruppe von Manowar. Das nächste Album Age Of Consent (wo David alle Keyboards und fast alle Bass-Spuren einspielte, da Joe krankheitsbedingt ausfiel) aus dem Jahr 1987, erreichte, obwohl es gute Kritiken der Fachpresse erntete, wieder keine größere Verbreitung und wurde nicht zuletzt deshalb ein kommerzieller Misserfolg, da die Auflage aufgrund rechtlicher Probleme viel zu gering war. Die Jahre zwischen 1988 und 1992 sind alles andere als einfach, das Management griff einige Male daneben und Bassist Joe O’Reilly verließ die Band schließlich. Erst 1993, nach langwierigen Rechtsstreitigkeiten mit dem ehemaligen Management und nachdem mit Rob De Martino ein neuer Bassist zur Virgin Steele gekommen war, konnte die Band wiederbelebt werden und unterzeichnete einen Vertrag bei der Plattenfirma Shark. Es wurde noch im gleichen Jahr das Hardrock Album Life Among The Ruins (Leben inmitten von Ruinen) auf den Markt geworfen. Für die Band durchaus ungewöhnlich ist hier von Whitesnake beeinflusster Hard Rock mit Blues-Anleihen zu hören. Trotz allem wurde das Album in Europa kräftig live promoted und David kündigte seinem Label T & T Records eine Doppelveröffentlichung namens The Marriage Of Heaven And Hell – Part I & II an, welches bereits ein Jahr später erschien. The Marriage Of Heaven And Hell, Part 1, ein sehr progressiv orientiertes, melodisches Album mit Epic Metal und den für Virgin Steele typischen starken sinfonischen Einflüssen. Dieses Album wurde in der Metalszene sehr positiv aufgenommen. Virgin Steele kamen erneut nach Europa, als Vorgruppe von Manowar und Uriah Heep. 1995 wurde das Album The Marriage Of Heaven And Hell, Part 2 veröffentlicht. David kreiert gemeinsam mit Edward ca. 60 Tracks für das Werk. Rob De Martino tourte während der Aufnahmen mit Rainbow, sodass der Bass von Edward gespielt wurde. Der erste Teil kommt mit 14 Songs 1994 auf den Markt und stellt Noble Savage in den Schatten. Der zweite Teil führte Joey noch als Drummer auf, dieser war aber in der Zwischenzeit ausgestiegen und durch Frank Gilchriest ersetzt worden.

Nach einer weiteren Europa-Tour erschien 1998 mit dem – musikalisch deutlich härteren – Album Invictus der dritte und letzte Teil der Marriage-Saga. Wie bei den beiden Vorgängern agierten Virgin Steele für die Aufnahmen erneut als Trio, da Rob erneut nicht verfügbar war. Die Platte verkaufte sich sehr gut und wird von vielen Fans als eines der stärksten und ausgereiftesten Langeisen von Virgin Steele angesehen. Spätestens jetzt war die Band im Metalgenre weltweit eine feste Größe.

Die kreative Phase der New Yorker hielt an. David, dessen Vater Shakespeare Darsteller mit eigenem Theater in New York war und dessen Schwester als Opernsängerin durch ganz Europa tourte, waren wohl die Inspiration für eine Art Metaloper. Grundlage bildete die in Memmingen uraufgeführte Oper mit Namen Klytaimnestra Oder Der Fluch Der Atriden. So erschien 1999 The House Of Atreus Act I, ein stimmungsvolles, vielschichtiges Konzeptalbum, das sich mit der griechischen Mythologie befasst und kurz darauf, im Jahr 2000, folgte mit The House Of Atreus Act II die Fortsetzung (die außerplanmäßig sogar ein Doppelalbum wurde). Auch diese Scheibe wurde wiederum als Trio erstellt. Die Trackliste ist lang und gibt es daher als Bild.

Die Scheibe ist nicht so hart wie das Meisterwerk Invictus, aber der Opener Wings Of Venegance oder Fire Of Ecstasy sind einfach großartige Musik. Epische Powermetalnummern, welche eigentlich nur so von Virgin Steele kommen konnten. Es sind aber auch einige ruhigere Tracks auf der Doppel-CD zu finden. Die Klasse von Invictus ist aber mehr als oft zu hören. The Wine Of Violence, A Token Of My Hatred oder Summoning The Powers bieten mehr symphonische Elemente, sind aber mit hervorragenden Melodien unterlegt und gehören sicher zu den starken Songs, welche von Virgin Steele in ihrer Karriere geschrieben worden sind. Die zweite CD wird noch etwas symphonischer und klassischer. Der Einsteiger Flamies Of Thy Power (From Blood They Rise) ist aber nach wie vor großer Sport und Herr Sammet dürfte damals etwas genauer in das Werk von Virgin Steele gehört haben. Resurrection Day (The Finale) ist dann der würdige Abschluss der Doppel-CD und noch mal ein absolutes Highlight.

Was kam noch danach von Virgin Steele? Wenn man ehrlich ist, war The House Of Atreus Act II das letzte große Album einer Band zwischen Welt- und Kreisklasse. Man hatte immer das Gefühl, dass Virgin Steele an ihrer eigenen Kreativität oder an der von David DeFeis ersticken. David widmete sich einigen Projekten und es wurde die eine oder andere Compilation bzw. Neuauflage veröffentlicht. Erst 2006 erschien das nächste Studioalbum mit Visions Of Eden, welches sich thematisch mit dem antiken vorderasiatischen Lilith-Mythos befasst. Das Werk konnte leider nicht annähend an die Großtaten der 90er anknüpfen. 2010 The Black Light Bacchanalia erhielt noch schlechtere Kritiken als sein Vorgänger. So ging es weiter abwärts mit Virgin Steele. 2015 Nocturnes Of Hellfire & Damnation verschwand schon fast in der Bedeutungslosigkeit. 2018 haute David mit einem Schlag drei neue Alben raus (Ghost Harvest – Vintage I – Black Wine For Mourning, Ghost Harvest – Vintage II – Red Wine For Warning und Gothic Voodoo Anthems). Ich will hier einfach mal das Review bei Time For Metal zitieren: „Die Selbstdemontage fortgesetzt.“ Trefflicher kann man es nicht formulieren.

Neben den schwachen Alben gab es bei Virgin Steele noch ein weiteres Problem. Die Liveauftritte waren rar und selten gut. Ich selbst habe die Band überhaupt nur einmal live gesehen. Das war 2001, als Vorgruppe von Hammerfall. Der Opener war Freedom Call. Sowohl Freedom Call als auch Hammerfall spielten Virgin Steele an die Wand, welche einen erschreckenden Soundbrei produzierten. Da es die beiden anderen Bands deutlich besser hinbekamen, lag das nicht nur an den Tontechnikern. 2010 war David DeFeis auf zwei Festivals zu sehen (Rockhard und Headbangers Open Air hier im Norden). Der Auftritt auf der kleinen Bühne in Brande-Hörnerkirchen war wohl der beste Gig seit Langem. Eine komplette Tour haben die Herren schon längere Zeit vermieden. Seitdem herrscht mehr oder weniger auch bzgl. Konzerten Funkstille. Nächstes Jahr feiert man 40. Bandjubiläum. Ob man sich dafür etwas einfallen lässt? Oder ist es mit Virgin Steele einfach nur vorbei? Die Band selbst kündigt für 2020 ein neues Langeisen an. Nach den Erfahrungen der letzten Werke, möchte man bald fragen, ob das eine Drohung sein soll. Was aber auf jeden Fall bleibt, sind die fünf Klassiker zwischen 1995 und 2000, welche sich nach wie vor sehr gerne auf meinem Plattenteller drehen.

Die weiteren Ausgaben der kleinen Serie:

Lest hier auch die Januar-Ausgabe unserer „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Hammerfall: 20 Jahre Renegade

Hier kommt ihr zur Februar-Ausgabe unserer „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Destruction: 20 Jahre All Hell Breaks Loose

Klick hier für die März-Ausgabe unserer „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Papa Roach: 20 Jahre Infest

In der April-Ausgabe gab es in der „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: The Offspring: 20 Jahre Conspiracy Of One

Schaut euch auch die Mai-Ausgabe der „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe an: Iron Maiden: 20 Jahre Brave New World

In der zweiten Mai-Ausgabe wurden Stratovarius mit „Could Be On Tour Today With Music From The Past” und Infinite vorgestellt

Hier kommt ihr zur ersten Juli-Ausgabe unserer „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Limp Bizkit: 20 Jahre Chocolate Starfish And The Hot Dog Flavored Water

Die zweite Juli-Ausgabe von „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past beschäftigt sich mit Linkin Park und Hybrid Theory

In der August-Ausgabe gab es eine Doppelpack in einer Story von „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past, es geht um zwei Bands aus Göteborg, Haven von Dark Tranquillity und Clayman von In Flames

In der Oktober-Ausgabe von „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past geht es um die Mitbegründer des Progressive Metal, Fates Warning und ihr Werk Disconnected

In der ersten November-Ausgabe von „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past widmen wir uns den Dänen Pretty Maids und ihrem Album Carpe Diem.

Hier kommt ihr zur zweiten November-Ausgabe unserer „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Rhapsody: 20 Jahre Dawn Of Victory

Im dritten Teil unserer November-Ausgabe unserer „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past Reihe wird das Album Verlierer Sehen Anders Aus der Düsseldorfer Punkrocker Broilers beleuchtet.