Ist Metal veggie und vegan? (1/3)

Gedankenaustausch mit Axel Ritt von Grave Digger, Teil eins

Artist: Axel Ritt (Grave Digger)

Herkunft: Köln, Deutschland

Genre: Heavy Metal, Power Metal

Label: Napalm Records

Links: https://www.grave-digger-clan.de/
https://de-de.facebook.com/gravediggerofficial/

Bandmitglieder:

Gesang – Chris Boltendahl
Gitarre – Axel Ritt
Bassgitarre – Jens Becker
Schlagzeug – Marcus Kniep

In dem Jahr 2020 kommen viele Dinge zum Vorschein, welche eigentlich bekannt sind, aber gerne verdrängt werden. Natürlich weiß jeder halbwegs gut informierte Mensch, dass das preiswerte Fleisch mit eher suboptimalen Bedingungen für Tier und Arbeitnehmer zu tun hat und dass es sich eher um ein Industrie- und nicht um ein Naturprodukt handelt. So zeigt sich eigentlich seit etlichen Jahren eine Tendenz in der Bevölkerung, welche Fleisch von der Speisekarte reduziert oder sogar eliminiert. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das auch in der harten Musik wie Metal und Hardrock der Fall ist – oder gehören das Grillsteak und das Bier einfach dazu?

Vorwort Jürgen (Time For Metal): Ich selbst lebe seit einigen Jahren vegetarisch und treibe mich in der Regel bei Konzerten und Festivals vor der Bühne bzw. auf dem Festivalgelände rum. Man macht so seine Erfahrungen mit den Abläufen und der Auswahl an Food und Drinks. Im Gegensatz zum Publikum ist vegetarische oder auch vegane Ernährung unter den Künstlern durchaus verbreitet. Um das Thema zu erörtern, war ich auf der Suche nach einem Gesprächspartner aus meiner Generation (ca. 50 Jahre alt) und möglichst deutschsprachig. Da blieben eigentlich nur zwei Personen und Axel Ritt (Grave Digger) sagte auf meine Anfrage sofort zu (ebenfalls im reiferen Alter wäre Mille Petrozza, ein weiterer bekannter veganer Metal Musiker). Dieses Gespräch soll eins nicht sein: eine Belehrung. Jeder kann essen und leben, wie er möchte. Aber einen Denkanstoß bezüglich der Einordnung des einen oder anderen Sachverhalts liefern wir sehr gerne. Weiterhin würde ich mich freuen, dass, wenn eine Person die angebotene Bratwurst vom Nachbargrill ablehnt, diese Person nicht umgehend beleidigt oder beschimpft wird. Ein Raucher würde doch einem Nichtraucher niemals sagen: „Nun rauch mal, stell dich nicht so an!“

Time For Metal / Jürgen:
Moin Axel,
vielen Dank, dass du umgehend für dieses Gespräch, was mehr ein Gedankenaustausch ist, zugesagt hast. Ich hatte neulich ein Interview mit Chris bezüglich der neuen Grave Digger Scheibe. Ich hoffe, euch geht es nach wie vor allen gut und ihr freut euch auf den ersten Gig in der Schweiz?

Grave Digger / Axel:
Auf jeden Fall. Das letzte halbe Jahr war eine furchtbare Zeit, ich hoffe, die Lage beruhigt sich nun wieder und man erlaubt uns nun wieder, unserem Beruf nachzugehen. Im Übrigen, wenn eine Regierung mir verbietet, meinen Beruf auszuüben, hat sie auch dafür Sorge zu tragen, dass ich meinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen kann. Dies ist zu keiner Zeit passiert, stattdessen hat man Tausende von Millionen in Konzerne wie Lufthansa, Deutsche Bahn und unzählige mehr gepumpt, um viele meiner Kollegen sehenden Auges in Hartz 4 verrotten zu lassen.

Time For Metal / Jürgen:
Musik ist heute eigentlich nur ein Randthema. Wer sich mit dem Thema Metalmusiker und vegane oder vegetarische Ernährung beschäftigt, findet recht schnell deinen Namen. Wie bist du zum Veganer geworden?

Grave Digger / Axel:
Ich war schon 30 Jahre lang Vegetarier, als ich mich schließlich mit der Milch- und der Eierindustrie auseinandergesetzt habe. Die Vorstellung, dass selbst in Deutschland Millionen von männlichen Küken ein paar Minuten nach ihrer Geburt bei lebendigem Leib in einem Schredder zermatscht werden, oder aber wie seinerzeit Menschen in den Konzentrationslagern, vergast werden, nur weil sie keine Eier legen können, hat mich zutiefst schockiert. Auch die Tatsache, dass Kühe künstlich besamt, sprich vergewaltigt werden, dann wird ihnen das Kalb weggenommen, damit wir ihre Milch trinken können, war unerträglich für mich. Damit ist der Mensch das einzige Lebewesen, welches die Muttermilch einer anderen Spezies trinkt. Die Prozedur der Vergewaltigung wird dann mehrere Jahre immer wieder praktiziert, bis die Kuh ausgelaugt ist, dann wird sie getötet. Die weiblichen Kälber treten die Nachfolge ihrer Mutter an, die männlichen Kälber sind Müll und werden möglichst früh getötet. Man stelle sich vor, man nehme einer Frau unmittelbar nach der Geburt das Kind weg, tötet es dann, um es zu essen, um die Frau dann direkt wieder zu vergewaltigen, damit sie schnell wieder ein neues Kind bekommt, was man direkt wieder töten kann. Das macht man mehrere Jahre, dann tötet man die Frau. Dies konnte ich nicht mehr unterstützen und bin daher noch einen Schritt weiter gegangen und habe mich der veganen Lebensweise verschrieben.

Time For Metal / Jürgen:
Du bist ja auch nicht als Vegetarier auf die Welt gekommen. Was hat dich veranlasst, auf Fleisch zu verzichten?

Grave Digger / Axel:
Ich bin jetzt seit fast 40 Jahren Vegetarier, davon die letzten zehn Jahre vegan. Ich hatte mit knapp 18 Jahren ein Erlebnis, was mich erstmals zum Nachdenken gebracht hat und unmittelbar mein ganzes Leben geändert hat. Wie nahezu alle Menschen, die als die ersten Nachkommen der Nachkriegsgeneration geboren wurden, gab es in meinem Elternhaus Fleisch im Überfluss. Da es zu Kriegszeiten nahezu gar nichts regelmäßig zu essen gab, erst recht keine geschlachteten Tiere, wurde in der Wirtschaftswunderzeit alles im Überfluss konsumiert, was für Luxus und Wohlstand stand. Mein Vater hat jeden Tag in seinem Leben Fleisch gegessen, was dazu führte, dass man zum Schluss seines Lebens im Krankenhaus zwecks einer Untersuchung keinen Herzkatheter mehr setzen konnte, da alle Adern komplett mit Ablagerungen von tierischen Fetten verstopft waren.

Ich ging seinerzeit mit meiner damaligen Freundin und meinem Hund spazieren und wir kamen an einem Bauernhof vorbei, welcher über ein Außengelände für Schweine verfügte. Im Auslauf befanden sich drei Muttersauen, welche die in der einen Ecke des Auslaufs angelegte Schlammsuhle zur Hautpflege ausgiebig nutzten. Der Spaß, den die Tiere dabei hatten, war mit Händen zu greifen. Plötzlich hat mich eine der Sauen entdeckt und trabte auf mich zu. Dies bekamen auch die beiden anderen Sauen mit und schlossen sich der ersten Sau an. Diese drei Tiere stehen also direkt vor mir am Zaun und bemustern mich mit einem freudigen Gesicht ausgiebig. Ich kraule so meinen Hund mit seinem weichen Fell und wären diese Sauen jetzt nicht von oben bis unten komplett verdreckt gewesen, hätte ich diese gleich mitgekrault, weil sie total süß waren.

Es ging auf 18 Uhr zu und mein Magen meldete sich bezüglich des Abendessens. Ich dachte so bei mir, dass meine Mutter Schnitzel zum Abendessen machen wollte, und da geschah es. Ich schaue so die Sauen an, ich schaue meinen Hund an und denke mir: „Deinen Hund würdest du nie essen, warum eigentlich nicht?“ Nun er hat ein weiches Fell, ich habe eine Beziehung zu ihm. Aber nur weil die Sauen kein weiches Fell haben und ich sie erst heute kennengelernt habe, empfinden sie doch die gleichen Schmerzen, die gleichen Ängste wie jedes andere Lebewesen auch. Das war’s! Ich kam nach Hause und habe meinen Eltern offenbart, dass ich nie wieder in meinem Leben ein totes Tier essen werde. Meine Eltern haben das zu Anfang noch als „jugendliche Verirrung“ abgetan, mussten dann aber einsehen, dass es mir im wahrsten Sinne des Wortes todernst damit war.

Da ich mein Leben lang immer selbstständig gearbeitet habe, gab es innerhalb meines beruflichen Umfeldes kein großes Aufheben um meine Ernährung, außer den üblichen Diskussionen bei Geschäftsessen, welche sich aber meist zugunsten der geschäftlichen Beziehung in Wohlgefallen auflösten. Die übelste Erfahrung musste ich auf der Beerdigung meiner Mutter machen, als beim anschließenden Leichenschmaus einige Familienmitglieder meinten, noch am Tisch eine Grundsatzdiskussion über Ernährung und Tierleid mir aufs Ohr drücken zu müssen. Pietätlos, unhöflich und anmaßend zugleich, ich war kurz davor, alle rauszuschmeißen.

Innerhalb der Band verlangt der persönliche Respekt gegenüber den Kollegen, dass man dem anderen nicht in seine Lebensweise hineinredet, sowohl von meiner Seite, als auch von der Seite der anderen Musiker. Dumme Sprüche gibt es überhaupt keine und sollten sich Dritte außerhalb der Band einmal im Ton vergreifen, so gibt es eine entsprechende Ansage. Die aktuelle Grave Digger Besetzung ist diesbezüglich absolut vorbildlich.

Was war dein Erlebnis?

Time For Metal / Jürgen:
Also eigentlich war es wie eine lange Reise. Angefangen hat es in der Kindheit, ich mochte vieles an Fleisch nicht. Teilweise habe ich mich regelrecht davor geekelt. Ganz oben auf der Ekelskala war Schweinshaxe, gefolgt von Roulade und Bregenwurst. Das sorgte natürlich für Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Eltern und Sohn, weil – wie in deinem Elternhaus – Fleisch ständig auf dem Tisch stand, was dazu führte, dass das Fleisch quasi in mich hineingeprügelt wurde. Mit dem Verlassen des Elternhauses und Beginn des Studiums veränderte ich meine Art der Ernährung erstmalig. Zum einen hat man als Student nicht so viel Geld, zum anderen war ich nun für mein Essen selbst zuständig. Heute würde man mein damaliges Essverhalten wohl „Flexitarier“ nennen. Bevorzugt waren die klassischen Studentenmahlzeiten wie Nudeln mit Tomatensoße – Fleisch gab es recht selten. So lebte ich eigentlich ziemlich lange gut vor mich hin. Der nächste Einschnitt kam mit einem längeren beruflichen Aufenthalt in den USA. Die Tankstelle mit McDonalds, wo der Tankwart den Burger zubereitet, ist wenig appetitanregend. So habe ich Sachen wie Bratwurst, Frikadelle und Ähnliches von der Speisekarte gestrichen. Es gab dann ca. alle zwei Monate noch mal Fleisch, welches nachweislich vom Biohof kam oder gekommen sein sollte, ansonsten aber nach wie vor Fisch. Aus heutiger Sicht war ich dann wohl der Pescetarier. Da mein Fleischkonsum sehr gering war, führte der letztmalige Verzehr von Fleisch zu einem Gefühl „einen Stein verschluckt zu haben“ und mir ging es richtig dreckig einen halben Tag. Damit war das Fleisch komplett von der Speisekarte verschwunden. Beim Fisch flog der Lachs nach einem Norwegenurlaub als Erstes raus und nach einem Urlaub auf Juist, einer Wattwanderung und vielen Informationen über Fischbestände etc. folgte der gesamte Fisch. So wurde ich zum Vegetarier. Ein Prozess über mehr als 25 Jahre (wenn man die nicht selbstbestimmte Zeit des Heranwachses im Elternhaus abzieht). Ob er noch weitergeht? Durchaus möglich! Produkte, wo Eier verwendet werden, allen voran Eikonzentrat, werden bereits ausgeschlossen.

Nun haben wir uns darüber unterhalten, wie wir unser Konsumverhalten bezüglich der Ernährung verändert haben. Da stellt sich natürlich die Frage, was bedeutet Veganismus beim Einkaufen und bei der Zubereitung der Mahlzeiten?

Grave Digger / Axel:
Zu Beginn habe ich noch viel die Inhaltsangaben der Lebensmittel auf der Verpackung studiert, was den positiven Effekt hatte, dass man vor Augen geführt bekommt, was die Nahrungsmittelindustrie uns teilweise für einen Dreck an „Lebensmitteln“ verkauft. Mittlerweile müssen ja auch Allergie erzeugende Zusätze wie Kuhmilch fett gedruckt werden, d. h. ich brauche nur noch ca. zwei Sekunden um zu sehen, ob das Produkt für mich infrage kommt.

Mittlerweile habe ich meine festen Marken, bei denen ich blind zugreifen kann. Sehr schön ist es halt in einem veganen Supermarkt wie z. B. Veganz, dort hat man das Gefühl, im Schlaraffenland zu sein. Um den Kritikern bezüglich der Preise die Luft aus den Segeln zu nehmen, nicht die Preise für hochwertige vegane Kost ist zu hoch, der Preis für Fleisch ist viel zu niedrig. Durch die Milliarden Subventionen aus Brüssel kann man das tote Tier deutlich billiger verkaufen, als was der Markt im Normalfall dafür verlangen müsste. Dazu kommen noch die massiven Umweltschäden, die die Tierhaltung produziert, Stichwort Gülle. Deutschland zahlt allein den Niederlanden Millionen, damit wir unsere Gülle dort verklappen können, da die deutschen Böden von der Gülle schon komplett zerstört wurden.

Da schließt sich natürlich die Frage an, wie der Vegetarier den Einkauf und die Zubereitung des Essens erledigt.

Time For Metal / Jürgen:
Also ich finde das sehr einfach. Selbst in den einfachen Supermärkten gibt es Obst und Gemüsestände. Nudeln, Pizza und ähnliche Gerichte sind selbst als Fertiggerichte verfügbar, wenn man Eikonzentrat im Teig für okay empfindet. Die Auswahl an vegetarischen Möglichkeiten ist mittlerweile in fast allen Supermärkten gut. Wir haben natürlich unseren bevorzugten Supermarkt, wo es auch Obst und Gemüse aus der lokalen Region gibt. Die Tomaten, welche erst mal durch die halbe Weltgeschichte reisen, versuchen wir ebenfalls so weit wie möglich zu eliminieren. Bei der Zubereitung ist es sehr unterschiedlich. Im Sommer esse ich selten warme Gerichte. Mir ist dann eh schon meistens warm genug. So reicht mir z. B. Brot plus Gurken und Tomaten mit reichlich Zwiebeln. Das geht fix und ist äußerst schmackhaft. In der kälteren Jahreszeit wird dann auch gemeinsam gekocht. Da ist aber meine Partnerin federführend. Sie ist übrigens ein Flexitarier bzw. Pescetarier. Es kann also durchaus passieren, dass ich mit Kartoffeln und Rosenkohl zufrieden bin, während meine Partnerin Fisch dazu isst.

Wenn du Besuch bekommst, welcher deine Form der Ernährung nicht teilt. Wie gehst du mit so einem Sachverhalt um?

Grave Digger / Axel:
Meine Frau ist eine herausragende Köchin und kreiert ganz hervorragende vegetarische und vegane Speisen. Egal, wer bisher zu Besuch war, alle waren stets vom kulinarischen Angebot und dessen Qualität überwältigt. Wir haben generell immer Gäste, die bezüglich der Ernährung open-minded sind und auch gerne einmal etwas ausprobieren, was sie ggf. vorher noch nicht kannten. Wer aus Prinzip auf fleischhaltige Kost besteht, hat keinen Platz an unserer Tafel.

Die gleiche Frage muss sich ja auch der Vegetarier stellen. Gibt es für deinen Besuch nur Salat?

Time For Metal / Jürgen:
Also wenn der Besuch sich sein Fleisch mitbringt, kann er das tote Tier auch auf den Grill legen. Allerdings verweigere ich den Einkauf von Fleisch, egal für wen. In meinem Bekanntenkreis hat sich meine Essgewohnheit natürlich herumgesprochen. Für den einen oder anderen ist es dann einfach Neuland, z. B. einen Gemüseburger zu essen. Da gab es schon mehrfach einen Aha-Effekt. Menschen, die sich mit der Thematik nicht beschäftigen, sind oft überrascht, wie schmackhaft vegetarische Mahlzeiten sein können, allen voran auch die Fleischersatzstoffe, wie z. B. ein Sojaburger

Der zweite Teil folgt am Donnerstag, dem 09.07.2020.