Unantastbar am 04.11.2023 im Kulturwerk Herford

"Wir Leben Laut"-Tour 2023

Event: Wir Leben Laut Tour 2023

Band: Unantastbar

Vorband: Willkuer

Ort: Kulturwerk Herford

Datum: 04.11.2023

Zuschauer: ca. 1150

Genre: Deutschrock

Link: www.unantastbar.net

Wir machen uns heute auf den Weg nach Herford ins Kulturwerk. Das ehemalige X wurde noch mal zum Leben erweckt und ich bin gespannt, denn mein letztes Konzert dort muss irgendwann Ende der 90er gewesen sein. Wir sehen heute Unantastbar auf ihrer Wir Leben Laut Tour mit Willkuer als Vorgruppe. Ich habe vor einiger Zeit das Review zum gleichnamigen Album geschrieben und bin nun gespannt, das Ganze live zu erleben. Und ich muss zugeben, dass Willkuer mir völlig unbekannt sind. Umso überraschter bin ich, dass die Vorband aus Baden-Württemberg einen eigenen Nightliner vor der Tür stehen hat. Die Schlangen vor dem Eventgebäude sind lang und die Schlange vor der Garderobe noch viel länger. Wir lassen unsere Jacken kurzerhand im Auto und haben das Glück, dass es für die Presse eine extra Warteschlange gibt. Der Innenraum ist schon kurz nach Einlassbeginn erstaunlich voll und der Geräuschpegel überfordert mich ein wenig. Ich verbringe die Wartezeit damit, die Menschen um mich herum zu beobachten. Und das Publikum ist wirklich sehr gemischt. Den jüngsten Fan würde ich auf ca. sechs Jahre schätzen, ein paar Jungs vielleicht so um die 12. Aber auch ein paar Herrschaften im gesetzteren Alter und auch eine Frau mit Gehilfe befinden sich mitten im Getümmel. Ich fühle mich auf meinem Platz etwas weiter seitlich mal wieder sehr wohl, auch wenn es heute nicht die erste Reihe wird. Irgendwie hab ich so ein Bauchgefühl, es ist besser, ein bisschen abseits zu stehen.

Willkuer, 11/2023, Kulturwerk Herford, Foto: Heinrich N.

Kurz vor 20 Uhr betreten Willkuer die Bühne und werden begeistert empfangen. Sofort verstehe ich, warum im Publikum einige Leute schwarze Hüte tragen – es scheint das Markenzeichen des Sängers zu sein. Es geht direkt in die Vollen und den Deutschrock, den die Jungs performen, finde ich auf Anhieb ganz gut. Was ich nicht gut finde, ist mal wieder dieses elende alle-in-die-Hocke-Spielchen, das diese Band tatsächlich schon im ersten Song von den Fans einfordert. Was zur Hölle gibt euch das? Sieht das von oben irgendwie toll aus? Als gut ernährte Frau in der zweiten Lebenshälfte ist es einfach ein Graus. Du hängst so halb in den Knien und wartest nur darauf, dass es endlich wieder nach oben geht. Und dann reden die und reden und du hast das Gefühl, dass das Leben langsam aus dir raussiecht. Dann endlich die Erlösung: Die jungen Hüpfer neben dir springen elastisch in die Luft, während du dich umständlich am Boden abstützt (der im schlechtesten Fall aus Morast besteht) und versuchst, dein kaputtes Kreuz wieder nach oben zu schieben. Während die anderen fröhlich hopsen, verdrehst du mit ein paar Gleichgeschundenen die Augen gen Himmel und versuchst irgendwie, die schwarzen Punkte, die dein Kreislauf dir beschert, wieder loszuwerden. Also Spaß ist was anderes ihr Menschen auf der Bühne! Vielleicht demnächst mal die Aufforderung, alle-unter-35-in-die-Hocke … DANKE! Ich muss an dieser Stelle zugeben, dass ich mich diesmal erfolgreich gedrückt habe 😉

Das Publikum ist bei Bevor Hier Alles Hochgeht auffallend textsicher und auch bei den folgenden Songs könnte man glauben, das hier sei der Headliner. Textzeilen wie „Ich bin der Alptraum aller Mütter“ aus Ich Bin Nicht Okay kann ich den Jungs allerdings nicht so ganz abkaufen. Die wirken alle fast angenehm harmlos und freuen sich so schön über uns, die sind doch nicht böse! Keiner Von Euch thematisiert die politische Ausrichtung der Band und dass sie sich weder rechts noch links einordnen wollen, sondern drauf verweisen, den Verstand zu nutzen. Und ich kann es verstehen, denn auch hier ist es wie bei fast jeder Band, die deutsche Texte singt: Beim Googeln wird nach dem Bandnamen direkt der Zusatz „rechts?“ vorgeschlagen. Aber dieses Thema ist schier endlos und soll jetzt hier nicht zelebriert werden. Gegen 20:45 Uhr verlassen sie die Bühne und hinterlassen ein gut eingeheiztes Publikum. Und hatte ich vorhin noch über den mit Bandemblem verzierten Nightliner gestaunt, bewundere ich jetzt die Anzahl der Crewmitglieder, die fleißig wie die Ameisen ruckzuck die Bühne leerfegen. Zeitgleich klettert ein Mitarbeiter mit Besen bewaffnet zu den Traversen und rückt den äußeren Scheinwerfer zurecht. Wir hatten schon bemerkt, dass die Seiten wirklich schlecht ausgeleuchtet waren, aber warum man das nicht eher bemerkt hatte? Seltsam …

Zu diesem Zeitpunkt sind schon einige sehr angetrunkene Gäste im Innenraum und nicht nur einer drängelt sich ohne Rücksicht auf Verluste vorbei. Man hat ja seine Augen nicht immer überall und wenn dann einer wie so ein Schneepflug durch die Menge walzt, ist das einfach respektlos. Mein Bauchgefühl klatscht sich selbst Beifall!

Unantastbar, 11/2023, Kulturwerk Herford, Foto: Heinrich N.

Kurz nach 21 Uhr entern Unantastbar die Bühne und werden freudig begrüßt. Der Sänger mit seinem tätowierten Körper ist schon als Typ ein Hingucker, man kann den gar nicht mit einem Blick erfassen. Ich muss immer wieder auf seine Nase gucken, weil es mich total fasziniert, dass es die einzige sichtbare Stelle ist, die nicht verziert ist. Auch lustig, andere sehen vermutlich die Tattoos und Piercings und ich schau auf die Nase. Egal. Die Musik ballert jedenfalls gut los und auch die Stimmung um uns rum ist bestens. Ich gebe zu, ich kenne längst nicht alle Songs und daher wird es hier auch keine vollständige Setlist geben. Nach kurzer Pause und Begrüßung geht es weiter mit Grader Weg, Wir Sind Die Stimme und Dein Leben, Deine Regeln, Dein Gesetz. Wieder beobachte ich fasziniert, wie das Publikum bei jedem Song voll dabei ist. Hinterher kommen wir überein, dass die Texte ein großes Wir-Gefühl auslösen und deshalb die Leute wohl so mitziehen.

Und dann wird der raue Rocker auf der Bühne ganz ruhig und präsentiert einen Song, den er für seine Frau geschrieben hat. Dabei zeigt er eine sehr sanfte Seite und lässt uns näher an sich heran als bei jedem anderen Stück. Dass das hier von Herzen an sie rausgeht, ist zweifellos.

Seit Beginn vor 19 Jahren spielen die Jungs von Unantastbar in der gleichen Besetzung und drücken die Dankbarkeit dafür in ihrem Song All Die Ganzen Jahre aus. Küss Mich, Ich Gehöre Mir und Du Bist Nicht Echt laufen durch, es wird immer enger und wärmer und ich versuche zu verstehen, warum sich manche Männer auf Konzerten ausziehen müssen. Es ist sauwarm, alle schwitzen und dann drückt sich so ein oberkörperfreier, bierschweißtriefender Mensch an dir vorbei und schmiert seine Körperflüssigkeiten einmal schön geschmeidig an dir ab. Wenn du Glück hast, trifft es nur dein Shirt, im schlechtesten Fall erwischt es dich im Gesicht oder an den Armen und es ist einfach eklig. In der Masse stehen und mal an den Nebenmann gedrückt werden, das gehört dazu, aber ich schwitze meinen Körper echt lieber selbst voll. Aber wir wollen mal dankbar sein, dass sie wenigstens die Buxen anlassen 😉

Knapp die Hälfte sollte nun rum sein und wir schauen uns ein wenig im Kulturwerk um. Ca. 1.150 Gäste sind heute hier, ausverkauft sind sie bei 1.800 und ich frage mich, wo die noch hinsollen. Ja, es gibt noch einige freie Ecken, aber das ist auch ganz angenehm, um der Masse mal kurzzeitig zu entfliehen. Die Theken sind etwas unterbesetzt, wir warten eine Ewigkeit, wechseln die Theke, warten wieder. Es ist nicht so, dass die Mitarbeiter zu langsam wären, die arbeiten zackig vor sich hin. Aber es ist einfach viel zu voll für die Handvoll Ausschenker hinter den Theken. Und so sind Gäste und Mitarbeiter gleichermaßen genervt. Als wir endlich Cola und Mineralwasser in den Händen halten, müssen wir feststellen, dass die Kohlensäure sich schon von dannen gemacht hat. Also, das war nix. Wir schlendern noch am Merchstand vorbei und sind begeistert, was hier von beiden Bands aufgefahren wird. Außergewöhnlich viele verschiedene Fanartikel und sogar einige Kisten mit Sonderangeboten, da sollte eigentlich für jeden etwas dabei sein.

Unantastbar, 11/2023, Kulturwerk Herford, Foto: Heinrich N.

Auf der Bühne sind sie mittlerweile bei Steine, Scherben, Dreck und ich suche mir eine Sitzgelegenheit. Irgendwie reißt mich das hier heute nicht so wirklich mit und ich weiß gar nicht warum. Die Texte sind gut, das Publikum feiert, aber irgendwie passiert mir insgesamt nicht genug, was mich einfängt. Dann werden die ersten Schlagwütigen hinausbegleitet und das schlechte Bauchgefühl schreit: Ich hab‘s gewusst!

Tatsächlich wird es jetzt insgesamt etwas ruhiger, als Sänger Joggl Du Fehlst anstimmt. Der Song ist nicht leise, aber er geht noch mal richtig unter die Haut. Auch Flügel und Zusammen, zwei Titel, die vom Publikum inbrünstig mitgesungen werden, sind sicher für viele ein Highlight des Abends. Wir stehen noch mal eine Weile an, um unser Pfand abzugeben, bis wir aufgeben und es verschenken. Nach Wir Leben Laut machen wir uns auf den Heimweg. Und diskutieren, was das jetzt eigentlich für ein Abend war. Die Musik war definitiv gut und auch ordentlich präsentiert. Das Publikum im direkten Umkreis war nett und hat fröhlich gefeiert. Trotzdem sind wir heute nicht so richtig in Schwung gekommen, aber vielleicht ist das auch einfach mal okay, der Rest des Publikums hatte jedenfalls augenscheinlich ordentlich Spaß.