Vildhjarta – Måsstaden Under Vatten

Das wilde Herz schlägt dissonant und erbarmungslos weiter

Artist: Vildhjarta

Herkunft: Hudiksvall, Schweden

Album: Måsstaden Under Vatten

Spiellänge: 80:00 Minuten

Genre: Djent, Progressive Metal

Release: 15.10.2021

Label: Century Media Records

Link: https://www.facebook.com/vildhjartaofficial

Bandmitglieder:

Gesang – Vilhem Bladin
Gitarre – Daniel Bergström
Gitarre – Calle Thomér
Schlagzeug – Buster Odeholm

Tracklist:

Pt. 1

  1. Lavender Haze
  2. När De Du Älskar Kommer Tillbaka Från De Döda
  3. Kaos2
  4. Toxin
  5. Brännmärkt
  6. Den Helige Anden (Under Vatten)
  7. Passage Noir
  8. Måsstadens Nationalsång (Under Vatten)
  9. Heartsmear

Pt. 2

  1. Vagabond
  2. Mitt Trötta Hjarta
  3. Detta Drömmars Sköte En Slöja Till Ormars Näste
  4. Phantom Assassin
  5. Sunset Sunrise
  6. Sunset Sunrise Sunset Sunrise
  7. Penny Royal Poison
  8. Paaradiso

Ein geschlagenes Jahrzehnt mussten Fans der schwedischen Djent-Band Vildhjarta warten, um neue Geschichten aus der fiktiven „Möwenstadt“ zu hören. Måsstaden war das bisher einzige Full-Length-Album der Band und erzählte dunkle Fabeln einer isolierten Stadt u. a. inspiriert von den schwedischen Erzählungen aus Mumindalen. Laut dem Titel Måsstaden Under Vatten steht diese besagte Stadt nun unter Wasser und nach dem dreijährigen Schaffensprozess wurde es Zeit, die Story weiterzuführen. Netterweise haben Vildhjarta die Texte des 80-minütigen Mammutwerks beigelegt, aber ohne fundierte Schwedisch-Kenntnisse ist der Handlung nicht beizukommen. Erstmals auf einer Platte der Schweden zu hören ist Drummer Buster Odeholm. Dieser fungiert auf dem aktuellen Album auch als Produzent und bringt Referenzen von Bands wie Born Of Osiris und Shadow Of Intent mit.

Allem voran sei gesagt, dass das neueste Werk ein schwerer und geheimnisvoller Brocken aus Djent-typischen Riffs, einer Menge dichter Atmosphäre und dem Wechsel zwischen beiden Extremen des Gesangs ist. Da Djent dank einiger fragwürdiger Internethypes für viele zum Schimpfwort verkommen ist, sei an dieser Stelle Folgendes erwähnt: Vildhjarta sind in der Lage, die geschmackvollen Anfänge von Bands wie Meshuggah, ohne deren Hang zu Wiederholungen, mit experimentelleren Klängen à la The Mars Volta zu verschmelzen.

Der Sound von Vildhjarta wurde durch das geflügelte Wort und dem jetzigen Fan-Schlachtruf „Thall“ geprägt, dass laut den Bandmitgliedern alles bedeuten kann. Ich hoffe, dass ein Muttersprachler und Fan der Band beizeiten die Erzählung auf Englisch zusammenfassen kann. Das würde das Konzept von Måsstaden und Måsstaden Under Vatten noch reizvoller machen. Entgegen meiner eigentlichen Vorgehensweise halte ich es bei 17 Songs nicht für sinnvoll, alle im Detail zu besprechen. Da aus den genannten Gründen auch die Texte außen vor bleiben, kann ich mich ganz der Musik hingeben.

Måsstaden Under Vatten wurde in zwei Hälften unterteilt und es fällt mir nicht leicht, etwas aus diesem engmaschigen Konzept hervorzuheben. Was also sticht aus den trüben Wassern von Måsstaden hervor? Da wären auf der ersten Seite zunächst die beiden Stücke, die einen Teil des Titels in sich tragen: Den Helige Anden (Under Vatten) und Måsstadens Nationalsång (Under Vatten). Der Heilige Geist (Muttersprachler dürfen mich gerne zu jeder Zeit korrigieren) trägt zu Beginn eine schwere, doomige Handschrift, bevor die typischen Maschinengewehr-Riffs die Oberhand gewinnen. Durch elektronische Sounds und melodische Gitarren werden die Dissonanzen immer wieder aufgebrochen. Die gesangliche Nähe von Vilhem Bladin zu Meshuggahs Jens Kidman ist unüberhörbar. Trotz der für mich unverständlichen Texte ist Schwedisch einfach eine großartige Sprache im Kontext der pechschwarzen Abgründe, die sich hier auftun. Erheben Sie sich, denn es folgt die Nationalhymne von Måsstaden. Das Instrumental kann auf der technischen Seite Pluspunkte sammeln. Die Faszination steckt sowohl im großen Ganzen als auch im Detail. Mann kann sich verträumt fallen lassen, nur um kurz darauf in den kalten Sog eines schier übermächtigen Antagonisten zu geraten.

Die zweite Seite wird von unheilvollen Saitenanschlägen in Vagabond eröffnet. Nach wenigen Sekunden bricht wieder die Hölle los. Der Takt des wilden Herzens schlägt neben dem Rhythmus. Gitarren und Drums scheinen in verschiedenen Paralleluniversen unterwegs zu sein und gönnen dem Hörer erst im Mittelteil eine Auszeit. Sänger Vilhem Bladin kehrt sein Innerstes nach außen und zerstört mit markerschütternden Schreien jeden Anflug von Romantik. Der Phantom Assassin lauert hinter der nächsten Ecke. Unheimlich hallende Klänge vermitteln die richtige Stimmung. Das kurze Break klingt etwas unbeholfen, leitet aber spannende Drumpassagen ein, die von lässigen Grooves zu kurz eingeschobenen Blastbeats getragen werden. Im weiteren Verlauf verneigt sich der geneigte Fellverdrescher endgültig vor Buster Odeholms Performance.

Ein weiteres Highlight-Doppelpack liefern Sunset Sunrise und Sunset Sunrise Sunset Sunrise (ja, was denn nun?). Beide zeigen erneut Vildhjarta in all ihrer nordischen Dampfwalzen-Pracht. Jedes auch noch so fragile Gedankenkonstrukt wird im Ansatz zerstört und dürfte Genrefans und Gegner aus unterschiedlichen Gründen zum Ausrasten bringen. Die getragenen Riffs kurz vor Ende des ersten Teils, untermalt von einer bittersüßen Melodie sind skandinavische Schwermut in ihrer reinsten Form. Teil zwei macht diesem kurzen schwelgerischen Moment den Garaus. Der wütende Mob wirkt zunächst aufgebracht, doch der Henker lässt das Beil der Guillotine dann gefühlt in Zeitlupe fallen. Es folgen Reminiszenzen an Pink Floyd nebst Vogelgezwitscher und das Thema von Sunset Sunrise mischt sich immer wieder unter den dichten Nebel. Wenn jemand Måsstaden Under Vatten in einem Satz zusammenfassen kann, dann die Bands selbst: „Kunst passiert, wenn Kunst passiert.“

Vildhjarta – Måsstaden Under Vatten
Fazit
Einfach machen es Vildhjarta dem Hörer nicht. 80 Minuten dieser Musik sind schon eine Herausforderung. Jede verträumte Sequenz wird durch Waffengewalt in musikalischer Form zerstört. Die gute Fanresonanz und die Treue über Jahre hinweg zeigen, dass die Band nach wie vor die richtigen Hebel in Bewegung setzen kann. Beide Måsstaden-Alben als Livekonzert am Stück wären mit Sicherheit ein unvergessliches Spektakel – Thall!

Anspieltipps: Den Helige Anden (Under Vatten), Måsstadens Nationalsång (Under Vatten) und Sunset Sunrise Sunset Sunrise
Florian W.
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