Kärbholz – Kapitel 11: Barrikaden

Erst Metal, am Ende Social Distortion und in der Mitte eine Prise Castrop-Rauxel

Artist: Kärbholz

Herkunft: Deutschland

Album: Kapitel 11: Barrikaden

Spiellänge: 40:57 Minuten

Genre: Rock’n’Roll

Release: 24.03.2023

Label: Metalville

Link: https://www.kaerbholz.de/

Bandmitglieder:

Gesang – Torben Höffgen
Gitarre – Adrian Kühn
Bass – Stefan Wirths
Drums: Henning Münch

Tracklist:

1. Barrikaden
2. Raubtier
3. Unter Ferner Liefen
4. Gar Nichts
5. Eins Gegen Eins
6. Der Zug
7. Mut Gegen Perspektive
8. Ohne Deckung
9. Ja Zum Leben
10. Zu Dir Oder Zu Mir
11. Gib Mir Deine Hand

Vielleicht das Wichtigste ganz am Anfang: Kärbholz spielen keinen Deutschrock!
Die Herren waren schon immer dreckiger, härter und eigenständiger als der Großteil dieser Szene, die mittlerweile ja immer poppiger, glatter und schlageresker wird.
Seit 18 Jahren (Glückwunsch!) hauen uns die Rheinländer Album für Album um die Ohren, auf denen sich musikalisch Kick-Ass Rock ’n‘ Roll, Metal und etwas Punk die Klinke in die Hand geben.
Dazu deutschsprachige Texte, die weitestgehend frei von Selbstgerechtigkeit, „Wir gegen euch“-Pathos, Meinungsmache und kalkulierter Pseudorebellion sind.
Klar, eine gewisse „Bro-Attitude“ ist immer vorhanden, und dieses „Ein Mann muss manchmal Dinge tun, die ein Mann tun muss“-Sache blinzelt auch ab und an hervor … aber seien wir ehrlich: Das hat jede, wirklich JEDE US-Hardcore-Combo im Gepäck und irgendwie ist es ja auch ein bisschen … nun, geil. Ahou!

Kärbholz haben mit Alben wie Rastlos, meinen beiden persönlichen Lieblingsscheiben Karma und Überdosis Leben sowie dem direkten Vorgänger Kontra., ziemlich fette Geschütze aufgefahren, sodass die Erwartungen natürlich nicht gerade niedrig sind.

Aber gut, et kütt wie et kütt. Schluss mit dem Gesabbel und sofort rein in die Barrikaden.
Der Titeltrack und Opener Barrikaden legt auch die erste Marschrichtung der neuen Platte fest: Typischer Kärbholz-Ohrwurmrefrain gepaart mit ziemlich harten Gitarren, die lange nicht mehr so geballert haben. Torben hat lange nicht mehr so aggressiv gebrüllt, dazu ein schönes Doublebass-Gewitter am Ende. Fettes Teil, meine Herren!

Raubtier war schon als Vorabsingle bekannt und flirtet ebenfalls sehr metallisch mit den Ohren. Schönes Stakkato in der Strophe, wunderbarer Refrain und textlich etwas prollig. Passt und macht Bock.
Unter Ferner Liefen drückt ebenfalls nach vorne, wartet mit richtig geiler Gitarrenarbeit und dem bisher hymnischsten Refrain auf. Diese typische, „warme“ Kärbholz-Wohlfühlzone wird hier zum ersten Mal erreicht, auch wenn der Text gar nicht mal so positiv ist.

Apropos Wohlfühlzone: Gar Nichts trifft noch mehr ins Schwarze. Etwas ruhiger, melodischer und wieder dieser gefühlvolle Gesang, der so viele Kärbholz-Klassiker ausmacht.
Thema: Freundschaft. Unter Männern. So mit „Ich hau dir eine rein, danach können wir wieder Freunde sein“. Und ja, einfach mal mit englischen Lyrics vorstellen und schon sind wir auf der Sex, Love & Rock ’n‘ Roll.

Eins Gegen Eins zieht wieder etwas an, gehobenes Midtempo, typischer Breite-Beine-Rock. Macht Spaß, erreicht aber nicht die Klasse der ersten vier Songs.

Der Zug ist die obligatorische Ballade des Albums. Und hier wird es jetzt zweischneidig. Vor meinem Auge sehe ich eine Halle voller Feuerzeuge (Leute, wer hat eigentlich gesagt, dass Handylampen cool aussehen? Egal … ist wohl so ein Generationending; ich bin eben ein alter Meckersack) und im Takt hin- und her winkende Arme.
Trotzdem klingt das hier wirklich HART nach Wolle Petry und Konsorten. Uff, wo kommt das denn her? Textlich ja irgendwie ganz ok, melancholisch und hoffnungsvoll. Ob man das aber so dermaßen verweichen muss, dass es auch in Uschis Eckkneipe in Castrop-Rauxel nachts um halb zwei gespielt werden könnte, wenn sich Jürgen und Claudia bierseelig in den Armen liegen, um danach mit dem letzten Killepitsch in der Hand nass-knutschend zu ihr oder zu ihm gehen; nur um dann am nächsten Vormittag peinlich berührt in Feinripp und beigem Liebestöter bei einem Vier-Minuten-Ei den Abend extrem zu bereuen? Ok, ein viel zu langer Satz mit verstörendem Inhalt, aber ihr wisst schon, was ich meine. Oder? Hallo Redaktion? Versteht ihr mich?
Wie auch immer, das war nix.

Mut Gegen Perspektive legt härtetechnisch wieder ein ganzes Gebiss zu und holt einen zurück in die Welt des Rock ’n‘ Rolls. Nett, aber auch ein bisschen blass und gesichtslos.
Gleiches gilt für das sich anschließende Ohne Deckung. Beide Songs sind mitnichten „schlecht“, bleiben aber auch irgendwie nicht wirklich im Gehörgang hängen.

Ja Zum Leben kommt mit einem schönen Refrain um die Ecke und lässt den Kopf dann wieder nicken. Starke Social Distotion-Vibes wehen hier wieder durch den Raum, richtig cool.
Schönes Midtempo, schöne SoCal-Gitarren, schöner Gesang von Torben.

Erinnert ihr euch an Jürgen und Claudia? Aus Castrop-Rauxel? Thematisch relativ nah dran ist der treibende Zu Dir Oder Zu Mir-Gassenhauer, der mich musikalisch nun ein bisschen an ältere Broilers erinnert. Vielleicht auch wieder ein bisschen an Mike Ness und seine Bande. Oder doch an Serum 114? Naja, irgendwo in der Schnittmenge aus Rock ’n‘ Roll und Punkrock.

Rausgeschmissen werden wir mit Gib Mir Deine Hand, das mit den beiden Songs davor dann den finalen Social Distortion-Hattrick komplettiert.
Läuft gut rein, sorgt für Mitwippen und -pfeifen und entlässt uns mit ganz okayer Laune.

Kärbholz – Kapitel 11: Barrikaden
Fazit
Das Album kann man eigentlich in drei Teile aufteilen. Am Anfang wird die Axt ausgepackt; relativ hart und metallastig knallt es an allen Ecken und Kanten.
In der Mitte wird es etwas ruhiger und austauschbarer. Mit Der Zug hat man auch zum ersten Mal seit Jahren einen echten Ausfall an Bord; der einfach zu sehr in Richtung Schunkelschlager geht.
Gegen Ende verschwindet der Metal (und der Schlagerpop) und die Herren aus Ruppichteroth verneigen sich deutlich vor den südkalifornischen Altmeistern Social Distortion.
So ein Review ist ja auch immer sehr persönlich und subjektiv, daher kann ich jetzt auch nur für mich sprechen: Kärbholz haben schon bessere und gehaltvollere Alben abgeliefert, die ich auch nach Jahren noch gerne und oft höre. Kapitel 11: Barrikaden wird wahrscheinlich nicht so häufig bei mir rotieren.
Anfang Juni wird bereits der Nachfolger, Kapitel 10: Wilde Augen erscheinen. Es bleibt also spannend.

Anspieltipps: Raubtier, Gar Nichts und Ja Zum Leben
Andreas B.
7
Leser Bewertung1 Bewertung
10
7
Punkte