Das Interview mit Doc dem Keyboarder von Vyre zum aktuellen Album Weltformel

Artist: Vyre

Herkunft: Bielefeld, Deutschland

Genre: Sci-Fi Metal, Propaganda Pop, Stadium Black Metal

Label: Supreme Chaors Records

Link: https://www.facebook.com/pg/vyred/about/?ref=page_internal

Bandmitglieder:

Gesang – KG Cypher
Gitarre – Priebot
Gitarre – Zyan
Violine – Akku Volta
Cello – Nostarion
Bassgitarre, Gitarre – Hedrykk F. Gausenatt
Keyboard, Sampler – Doc Faruk
Schlagzeug – Android

Time For Metal / Rene W.:

Hallo liebe Musiker von Vyre. Wir haben bereits vor ein paar Jahren miteinander gesprochen, bzw mein Kollege, daher freue ich mich, dass wir heute noch mal über euch und euer aktuelles Album Weltformel sprechen können.

Vyre / Doc:

Die Freude ist ganz unsererseits, vielen Dank – und passend zum „Personalwechsel“ auf eurer Seite ist auch von unserer Seite dieses Mal jemand anderes (nämlich Doc, der Keyboarder) von der Partie.

Time For Metal / Rene W.:

Beeinflusst euch noch heute das dunkle kalte Universum beim Songwriting, oder haben sich die Einflüsse auf eure Musik in den letzten Jahren verändert?

Vyre / Doc:

Der Einfluss lässt sich natürlich nicht von der Hand weisen – auch wenn er primär inhaltlicher und weniger musikalischer Natur ist. Songs wie We Are The Endless Black und Away Team Alpha sprechen hier eine deutliche Sprache. Auf der anderen Seite ziehen wir aber auch viel Inspiration aus allgemein naturwissenschaftlichen Themen, wie zum Beispiel Shadow Biosphere, Life Decoded (beide greifen Aspekte der Evolutionstheorie auf) oder auch The Hitch (We Are Not Small) (eine Hommage an Christopher Hitchens, die auch das anthropische Prinzip aufgreift) zeigen. Wir bewegen uns quasi zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos und greifen in der gesamten Bandbreite verschiedene Themen auf – wie es eine Weltformel ebenfalls leisten muss.

Musikalisch ist der Einfluss des dunklen, kalten Universums wahrscheinlich weniger prominent – denn auch wenn einige Passagen des Materials ohne Zweifel sehr anorganisch und steril anmuten, haben auch viele sehr organische, emotionale Momente Zugang in die Songs auf Weltformel gefunden. Auch hier könnte man fragen, ob es nicht genau diese Brücke ist, die eine „Weltformel“ schlagen muss…

Time For Metal / Rene W.:

Seit The Initial Frontier Pt.1 ist viel bei euch passiert. Welche Erfahrungen prägen euch dennoch aus dieser Zeit, und welche Handschriften habt ihr bis jetzt beibehalten?

Vyre / Doc:

Da hast du Recht – auch wenn es sich die Veränderungen der letzten Jahre für uns ganz natürlich angefühlt haben. Sicher, Besetzungswechsel wirken sich immer auf die Arbeit als Band aus – aber die Herangehensweise an unsere Musik hat sich nicht grundlegend verändert; vielleicht hat sich ein wenig der Fokus verschoben, sicherlich hat sich auch die Gewichtung der Einflüsse verändert, aber es fühlt sich für keinen von uns an, als wären die Vyre, die nun Weltformel veröffentlicht haben, eine andere Band als die, die die beiden The Initial Frontier-Teile veröffentlicht hat.

Ein markanter Unterschied zwischen Weltformel und seinen Vorgängern ist jedoch, dass der Großteil des Materials auf Weltformel aus der Feder unseres Gitarristen Hedrykk stammt, während die beiden The Initial Frontier-Teile zumindest in ihren Grundzügen im Wesentlichen von unserem Sänger KG Cypher geschrieben wurden – und zwar eigentlich für (G)EIS(T), vor dem Split der Band 2011.

Time For Metal / Rene W.:

Um weiter ins aktuelle Werk Weltformel hinabzutauchen, würde ich gerne weitere Details zur Schaffensphase wissen: Wann kamen die ersten Ideen zum Album? Wie lange dauerte der Entstehungsprozess im Proberaum, und wie wurde weiter im Detail im Studio daran gefeilt?

Vyre / Doc:

Es hat tatsächlich einige Zeit gedauert, bis wir nach Abschluss der The Initial Frontier-Duologie wieder Muße hatten, neues Material zu schreiben. Wann genau die ersten Ideen kamen, kann ich dir gar nicht mehr so genau sagen – wir haben uns allerdings (auch) viel Zeit genommen, die Songs auszuarbeiten und zu verfeinern. Im Grunde lief der Prozess so, dass Hedrykk bzw. KG die Songs in ihren Grundgerüsten im „stillen Kämmerlein“ geschrieben und aufgenommen haben – und wir uns dann auf Basis dieser Demo-Versionen als Band daran gemacht haben, die Struktur weiterzuentwickeln und vor allem viele Details auszuarbeiten. Wenn man so will, haben wir hier den Sprung von der makroskopischen Song-Struktur zur mikroskopischen Verzierung vollzogen – was den Kreis zu meinen vorherigen Überlegungen schließt.

Als die Songs dann standen, haben wir uns wieder in unsere stillen Kämmerlein verzogen und mit den Aufnahmen begonnen – wir haben das große Glück, dass wir alle Aufnahmen in Eigenregie durchführen konnten, seien das die Saiteninstrumente (die in Hedrykks Homestudio aufgenommen wurden), die Gesangsspuren (die KG nach und nach in abendlichen Sessions im Proberaum aufgenommen hat) oder meine Synthesizer-Beiträge (die ich ebenfalls am heimischen Rechner aufnehmen konnte). Nach Abschluss der Aufnahmen haben wir alles in die fähigen Hände von Jörg Uken (Soundlodge) gegeben, der schon auf The Initial Frontier großartige Arbeit geleistet und nun wieder Mix und Mastering übernommen hat.

Time For Metal / Rene W.:

Eurem Label Supreme Chaos Records seit ihr treu geblieben und schafft damit über Jahre eine vertraute Konstante. Wie wichtig ist euch diese Säule, und welche Erfahrungen habt ihr mit dem Team gemacht?

Vyre / Doc:

Die Säule SCR ist für uns – insbesondere im Hinblick auf Werbung und Promo-Arbeit (die Robby an Metal Promotions outsourct) – sehr wichtig; viel wichtiger ist aber, dass wir mit Robby einen Partner haben, der wir als Freund der Band sehen. Das gegenseitige Vertrauensverhältnis und auch das Verständnis für die jeweiligen Rollen sind sehr stark und machen eine Zusammenarbeit extrem angenehm.

Wer sich mal ein genaueres Bild von Robby und SCR machen will, sollte sich auf KrachmuckerTV (Youtube) mal das Interview mit Robby anschauen – das ist sehr informativ und zudem noch verdammt unterhaltsam!

Time For Metal / Rene W.:

Euch als große Band zu bezeichnen, fällt sehr leicht, acht Musiker unter einer Decke findet man nicht immer. Wer fungiert bei euch als Leader, oder schafft ihr es trotz der vielen Gedanken, dass jeder diese frei entfalten kann?

Vyre / Doc:

Prinzipiell waren wir bis vor Kurzem sogar zu neunt! Leider hat sich die Mannschaft jedoch in den letzten Monaten etwas ausgedünnt, da unsere Streicherfraktion durch einen berufsbedingten Umzug einerseits und starke berufliche / universitäre Auslastung aktuell kein fester Bestandteil VYREs ist. Es ist zu siebt jedoch nur marginal unkomplizierter – das fängt schon mit den Proben an, die wir… lass mich überlegen… Anfang Mai das letzte Mal in vollständiger Besetzung durchführen konnten. Wir haben jedoch das große Glück, dass alle Bandmitglieder versierte bis virtuose Instrumentalisten sind und wir die Proben daher „nur“ dafür nutzen müssen, unsere Einheit als Band voranzubringen. Das funktioniert auf den Bühnen dieser Welt zwar nicht immer, aber meistens doch so gut, dass wir hinterher selbst etwas überrascht sind.

Was das Songwriting angeht, hatte ich ja schon angedeutet, dass hier im Wesentlichen Hedrykk und zum Teil auch KG die Fäden in der Hand hielten. Das heißt jedoch nicht, dass sich die anderen Bandmitglieder nicht hätten einbringen dürfen oder können – aber diese Arbeitsweise hat sich als sehr produktiv bewährt.

Time For Metal / Rene W.:

Ich möchte euch einmal bitten, in einem kleinen Track-by-Track das Album Weltformel einmal für eure Fans und unsere Leser zu durchleuchten.

Vyre / Doc:

Das Intro Alles auf Ende entstammt meiner Feder und soll ein wenig auf das Album einstimmen – wir haben in Rezensionen häufig gelesen, dass es „zu lang“ oder „überflüssig“ sei, und ich kann die Position der Rezensent/innen sehr gut nachvollziehen. Auf der anderen Seite ist es gerade in seiner Länge und in seinem sehr ausladenden Aufbau meines Erachtens die perfekte Einstimmung, da sich viele der nachfolgenden Songs in ähnlicher Dynamik entwickeln – und ich glaube, dass dieser „zu lange“ Charakter im Wesentlichen der Tatsache geschuldet ist, dass es sich um ein rein synthetisches Stück handelt.

Eine Frage, die Shadow Biosphere zugrunde liegen, ist, ob es so etwas wie „Leben“ (was immer dieser Begriff wirklich bedeuten mag) auch auf Basis eines komplett anders strukturierten Erbguts (eben nicht der DNA, wie wir sie kennen) geben kann – und ob es vielleicht sogar eine Biosphäre gibt, die mit der uns bekannten Tier- und Pflanzenwelt keinerlei Berührungspunkte hat, im „Schatten“ dieser Flora und Fauna existiert. Eine andere Frage, die sich in Shadow Biosphere verbirgt, ist die, ob es Evolution möglicherweise auch unabhängig von Licht geben kann – ohne Photosynthese (die ihrerseits ja erst zur Anreicherung des Sauerstoffs in der terrestrischen Atmosphäre geführt hat). In musikalischer Hinsicht finden sich diese hypothetischen Gegenpole in den organischen Streicher-Motiven einerseits und in der sehr steril anmutenden Bridge andererseits.

Life Decoded beleuchtet die Gedanken zur Evolution von Leben aus einer anderen Perspektive, nämlich aus der rein biochemischen. Die Grundbausteine des bekannten Lebens – nämlich die Nukleotide der DNA / RNA, die ihrerseits in Form von Triplets die Aminosäuren für Proteine codieren – sind für Biochemiker einfache Buchstaben (C, T/U, A und G); aber wie kommt man von diesen Buchstaben zu solch komplexen Dingen wie Bewusstsein? (Nur, um Missverständnissen vorzubeugen: Vyre vertritt keineswegs irgendwelche kreationistischen Ansichten oder „Intelligent Design“!) Musikalisch finden sich auch in diesem Song wieder vermeintlich gegensätzliche Elemente – und die harmonischen Auflösungen einiger Motive geben dem Begriff der Emergenz ein klangliches Gesicht.

Der Kern-Organismus in Tardigrade Empire sind die so genannten Bärtierchen, die Erstaunliches vollbringen können: Durch so genannte Kryptobiose sind diese Tiere gegenüber einer Vielzahl an extremen Umwelteinflüssen (Sauerstoffmangel, extreme Temperaturen, kosmische Strahlung etc.) resilient, überdauern also solche Bedingungen. Der Mensch mag nach der Eroberung des Kosmos streben – ist aber für die dort herrschenden Bedingungen nicht anpassungsfähig genug. Sollte der Planet Terra also das Universum erkunden wollen, wäre es ratsam, sich eine Menge bei den Tardigrada abzugucken – oder ein Tardigrade Empire loszuschicken und der Evolution auf fernen Welten die Bühne zu überlassen. Bei Tardigrade Empire handelt es sich wohl um das sperrigste

Stück des Albums, gerade wegen der teils ungewohnten Rhythmik; aber auch die Gitarrenmotive am Ende des Songs verleihen dem Song etwas Schräges.

Wie du vielleicht weißt, gab es auf The Initial Frontier Pt. II ein Instrumental mit dem Titel For Carl, das dem leider viel zu früh verstorbenen Carl Sagan gewidmet ist. Ähnlich verhält es sich mit The Hitch, das wir Christopher Hitchens zu Ehren geschrieben haben. Ihm und Carl Sagan ist gemeinsam, dass sie jegliche Transzendenz abgelehnt haben: „What can be asserted without evidence, can be dismissed without evidence.” – der Hitchslap. Der Untertitel in Klammern greift das anthropische Prinzip auf, das ein wichtiges Konzept für eben diese Ablehnung transzendenter Erklärungen ist. Der Song ist nicht nur ein Instrumental-Stück, sondern hat eine ziemliche Elektronik-Schlagseite – so wurde The Hitch mit Peter Tägtgren und Pain in Verbindung gebracht. Tatsächlich ist der Song ähnlich simpel strukturiert wie Alles auf Ende, profitiert aber von seiner breiteren Instrumentierung und damit einhergehenden stärkeren Dynamik.

We Are The Endless Black greift das vorhin schon genannte dunkle, kalte Universum als Einfluss auf. Was bedeutet endlose Schwärze für uns Menschen, die Licht zum Überleben (Vitamin D) brauchen? Wie wirkt sich endlose Schwärze auf Menschen aus – und ich spreche jetzt nicht von Kasper Hauser? Werden Menschen durch die Schwärze des Weltalls assimiliert? Hier möchte ich Cixin Lius Trilogie Remembrance Of Earth Past (von der bis jetzt leider nur die ersten beiden Teile auf Deutsch erschienen sind) empfehlen – er greift nämlich dort unter anderem diese Fragen auf… Von musikalischer Warte ist der Song der vermeintlich eingängigste des Albums – und sicherlich auch der, der am ehesten das Prädikat „Black Metal“ verdient.

Away Team Alpha knüpft in gewisser Weise an We Are The Endless Black an – nämlich dort, wo Weltraum-Pioniere, die die endlose Schwärze verinnerlicht haben, einen Planeten finden, der scheinbar als Refugium der menschlichen Rasse geeignet ist. Scheinbar – denn es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein extraterrestrischer Planet exakt dieselben Bedingungen bieten wird, die wir von der Erde kennen. Ohne ein gewisses Maß an „terraforming“ wird es nicht möglich sein, andere Planeten zu besiedeln – und hier liegt die Gefahr für jegliche Away Teams Alpha! Gerade musikalisch wird dieses nahezu aussichtslose Unterfangen durch den melancholischen Schlussteil mit seinen Blechbläsern reflektiert. Der perfekte Ausklang für Weltformel, wenn du mich fragst.

Time For Metal / Rene W.:

Das Artwork hat mich durch die helle Ausrichtung ein wenig überrascht. Welche Message möchtet ihr dem Käufer damit im Vorfeld an die Hand geben?

Vyre / Doc:

Die Cover-Artworks der ersten beiden Alben (Hicham Haddaji / Strychneen Studio) waren – wenngleich wir bis heute höchst zufrieden damit sind! – sehr stark in die Nische Black Metal / Science Fiction gepresst; mit Weltformel wollten wir diesen Rahmen aufbrechen (zumal wir uns nicht mehr als Black-Metal-Band sehen) und haben uns daher für einen einfacheren Ansatz entschieden, der durch seine helle(re) Ausrichtung sehr viel offen lässt; dem Hörer weniger „vorgibt“ – oder wärst du bei dem Cover mit einer präzisen Erwartungshaltung an das Album gegangen?

Wir haben uns dann recht schnell für das (invertierte) Bild der Sonne entschieden, weil diese in gewisser Art und Weise das verbindende Element der einzelnen Songs ist. Über die auf dem Cover abgebildeten Formeln haben wir etwas länger diskutiert – die eine Fraktion hat sich daran gestoßen, die vermeintlich ausgelutschte Relativitätstheorie (E = mc2) in den Mittelpunkt zu stellen, und wollte lieber einen Schritt weiter gehen und String-Theorie, M-Theorie oder vergleichbare Theorien und Formeln dazu aufnehmen; die andere Fraktion (die sich letztlich durchgesetzt hat) sah in der Formel allerdings (zu Recht) eine zentrale Errungenschaft der naturwissenschaftlichen Forschung und mehr noch einen Symbolgehalt, der mit vermeintlich komplizierteren und weniger geläufigen Formeln nicht erreicht werden konnte.

Time For Metal / Rene W.:

Sind in eurer jetzigen Konstellation Live-Auftritte möglich, oder seht ihr euch als reines Studioprojekt?

Vyre / Doc:

Wie eben schon erwähnt, sind wir live durchaus aktiv – wenn auch nicht so oft wie wir es gerne wären. Das hat aber neben der großen Anzahl an Bandmitgliedern im Wesentlichen den Grund, dass wir alle beruflich stark ausgelastet und zum Großteil Familienväter sind.

Time For Metal / Rene W.:

Ich bin selber fußballbegeistert und öfter bei Kollegen in Bielefeld auf der Alm. Trifft man euch dort auch, oder habt ihr mit dem Ballsport nichts am Hut?

Vyre / Doc:

Ich wüsste nicht, dass wir innerhalb VYREs irgendwann mal über Fußball diskutiert haben, haha. Ich persönlich schaue mir hin und wieder gern mal Spiele an – aber auch nur als „SKY-Schmarotzer“ bei meinem Schwiegervater; ich würde nie ins Stadion gehen, das ist mir zu anstrengend. Wenn schon, dann eher Handball – das ist ja schon eher Volkssport in OWL.

Time For Metal / Rene W.:

Ich bedanke mich für das kleine Update um eure Band und überlasse euch das letzte Wort an eure Anhänger und unsere Leser.

Vyre / Doc:

Vielen Dank für das Interview und die Aufmerksamkeit. Be the future