Zero Hour – Agenda 21

Comeback der polyrhythmischen Art

Artist: Zero Hour

Herkunft: USA, international

Album: Agenda 21

Spiellänge: 50:58 Minuten

Genre: Progressive Metal

Release: 13.05.2022

Label: Frontiers Music Srl

Link: https://facebook.com/zerohourtowers

Bandmitglieder:

Gesang – Erik Rosvold
Gitarre und Keyboard – Jasun Tipton
Bassgitarre – Andreas Blomqvist
Schlagzeug – Roel van Helden

Tracklist:

  1. Democide
  2. Technocracy
  3. Stigmata
  4. Memento Mori
  5. Agenda 21
  6. Patient Zero

Totgeglaubte leben länger: Stellt euch vor, eine Band, die euch sehr viel bedeutet, taucht nach 14 Jahren wieder aus dem Nichts auf und ihr freut euch wie kleine Kinder. Dann ist die Zeit des neuen Materials endlich gekommen und das Leben macht euch einen Strich durch die Rechnung. Arbeit, Privatleben, Gesundheit oder schlicht die massive Flut an Veröffentlichungen – sucht euch einen Grund aus, warum das Comeback-Album der von mir verehrten US-Progger Zero Hour so lange liegengeblieben ist. Aus den Augen, aus dem Sinn? Mitnichten! Dann ist eben jetzt der richtige Zeitpunkt für Breaks und Frickelorgien gekommen.

Was gibt es über Zero Hour zu sagen? Die Zwillingsbrüder Jasun und Troy Tipton gründeten die Band Anfang der Neunziger in der Bay Area und huldigten zusammen mit ihren Band-Buddies Erik Rosvold und Mike Guy den vertrackten Frickeleien in Reinkultur. Dabei entstand Ende der Neunziger das selbst betitelte Banddebüt, welches einige Jahre später unter dem Titel Metamorphosis wiederveröffentlicht wurde. Dazwischen lag im Jahr 2001 ein Meisterwerk des Prog Metal namens The Towers Of Avarice, welches auch nach heutigen Maßstäben klare 10 von 10 Punkten verdient hätte. Es gibt kaum ein Album in meiner Sammlung, das häufiger den Weg in meine Gehörgänge gefunden hat. Hier endet das originale Line-Up. Danach gab es für Proggies noch das starke A Fragile Mind (2005) mit Fred Marshall am Mikro zu bestaunen. Vor dem Cut übernahm dann Sirene Chris Salinas (Power Of Omens) dessen Posten auf den bisher letzten Studioalben Specs Of Pictures Burnt Beyond (2006) und dem düsteren Dark Deceiver (2008). Was ist in der Zwischenzeit passiert? Jasun, Troy und Erik brachten noch zwei Ableger-Alben unter dem Namen Cynthesis auf den Markt. Neben einigen instrumentalen Projekten kam im letzten Jahr das wirklich starke Album When The Skies Are Grey von A Dying Planet mit Jasuns Handschrift heraus.

Untätig waren sie also nicht, dennoch gab es Veränderungen im Bandgefüge. An der Schießbude sitzt nicht mehr Original-Drummer Mike Guy, sondern Roel van Helden, den die meisten von Powerwolf kennen dürften. Ich feiere die Künste des Niederländers vor allem auf den Alben von Subsignal und Sun Caged. Ein Gig von letztgenannter Band brachte den Kontakt zwischen Roel und Jasun zustande. Wie viele Fans wissen, kann Troy aufgrund einer Verletzung (mehr zu Jasuns Bruder im Interview aus 2021) seit Jahren nicht mehr Bass spielen. Die tiefen Saiten bedient stattdessen Andreas Blomqvist von den schwedischen Proggern Seventh Wonder. Sehr zu meiner Freude ist Erik Rosvold als Frontmann zurückgekehrt. Nicht dass Fred oder Chris einen schlechten Job gemacht hätten, aber es hat das richtige Feeling gefehlt. Doch genug der harten Fakten, was hat Agenda 21 nach der langen Auszeit der Band zu bieten?

Zunächst mal gibt es eine Spielzeit von 50 Minuten bei nur sechs Songs. Da lacht das Prog-Herz. Zu Beginn steht auch direkt der längste Song namens Democide vor der Tür. Hereinspaziert und willkommen zurück. Da ist sie wieder, die wohlig warme Stimmfarbe von Mr. Rosvold, der auch seine sozialkritischen Texte nebst dystopischer Zukunftsvision im Gepäck hat. Über allem thront das vertrackte Riffing von Jasun Tipton als größtes Markenzeichen der Band. Die „Neuen“ aus der Rhythmusabteilung machen ebenfalls einen verdammt guten Job. Was auffällt, ist der zwar relativ klar abgemischte Sound, dem aber die Band-typische perkussive Note fehlt. Da hätte ich mir etwas mehr Transparenz und Druck in der Magengegend gewünscht. Ansonsten zeigt Jasun ähnlich wie beim A Dying Planets Longtrack Embrace, wie man so viele Minuten füllt, ohne Langeweile aufkommen zu lassen. Spieltechnisch geht er dabei aber nicht so verträumt vor wie in seiner anderen Band, sondern steil noch vorne, wie man es von Zero Hour gewohnt ist. So bleibt neben Musikstudenten auch gemeinen Metalfans genügend Momente hängen, um eine gewisse Ohrwurmtauglichkeit festzustellen. Und sei es nur durch das Mainriff oder Eriks herzhaftes „Damn you, damn you all!“ Jasun und Andreas liefern sich Duelle, wie die Tipton-Brüder zu besten Zeiten (wer sein Instrument voller Frust in die Ecke feuern möchte, unten ist ein Playthrough-Video zum Song zu finden). Die gedankenversunkenen „Auszeiten“ dürfen ebenfalls nicht fehlen. Toller Einstand – welcome back guys!

Der zweite Track Technocrazy wurde im März als erstes Lebenszeichen und Single veröffentlicht. Vielleicht tickt mein Gehirn einfach nur anders, aber für anspruchsvollen Prog finde ich das Teil ziemlich eingängig. Gerade der Part ab Minute 1:02 mit dem straighten Riff und dem lässigen Gesangspart von Erik ist einfach nur schön. Gute Wahl, um neue Fans ins Geschehen einzuführen. Stigmata folgt und will einfach nicht zünden, bis der fast schon gesprochene Mittelteil ins Scheinwerferlicht tritt. Dieser wird mit Keyboards umschmeichelt und zieht einen Gitarren-/Basspart nach sich, der einem tiefen Einatmen an einem kalten Wintermorgen gleicht … uuuund ausatmen. Komplett in sich gekehrt wabert dann Memento Mori als harter Cut aus den Boxen. Da fehlen mir leider der Ankerpunkt und das rettende Ufer, um von Nachhaltigkeit zu sprechen. Gerade gehört und schon vom Winde verweht.

Der Titeltrack darf dann nach dem kurzen Leerlauf wieder riffen, was das Zeug hält. Na bitte, da sind sie doch, die „Towers-Vibes …“. Break, frickel, break und dazu die überlagerten Vocals, mit viel Gefühl. Egal, ob aggressiv oder in Gedanken versunken – Erik wirft alles, was er an Emotionen zu bieten hat, in die Waagschale. Der zehnminütige Schlusspunkt Patient Zero beginnt deutlich zurückhaltender, ehe die Riffs wieder auf den Plan treten. Jasun schafft es immer wieder, den typischen Stil der Band einzuflechten, ohne sich selbstgefällig oder uninspiriert zu wiederholen. Wer ihn einmal an der Gitarre gehört hat, weiß, was ich meine. Das Wechselspiel mit den Extremen verstärkt den Reiz, die Sci-Fi-Keyboardklänge untermalen die Szene und Erik kann noch einmal all sein Herzblut in jeder Silbe unterbringen. Kopfhörer-Futter par excellence beendet das Comeback-Album, auf das ich länger als nötig gewartet habe.

Zero Hour – Agenda 21
Fazit
Eine meiner Meinung nach sträflich unterbewerte Band ist nach 14 Jahren wieder zurück – wunderbar. Wie schon oft geschrieben, fühlt sich mein Geist stets wohl, wenn eine Band mir ordentlich Knoten unter die Hirnrinde fräst. Das schaffen die Herren um Mastermind Jasun Tipton nach wie vor. Auch Original-Sänger Erik Rosvold ist mit seiner besonderen Stimme zurück, was mein Herz vor Freude hüpfen lässt. Vorne und hinten großartig und in der Mitte etwas Leerlauf, so könnte man die sechs Songs auf Agenda 21 zusammenfassen. Was im Vergleich zum alten Material fehlt, sind die ganz großen Hits à la Stratagem oder Destiny Is Sorrow. Etwas unfair ist der Vergleich dennoch, da gute Musik Zeit benötigt, um zu reifen. Fakt: Anfang der 2000er war die Reizüberflutung aufgrund nicht vorhandener Streamingdienste noch nicht annähernd so groß. Deshalb freue ich mich über das gelungene Comeback und verbleibe mit dem Wunsch, mir irgendwann ein Livekonzert der Band ansehen zu können.

Anspieltipps: Democide, Technocrazy und Patient Zero
Florian W.
8.5
Leser Bewertung1 Bewertung
9
8.5
Punkte