Riverside – Lost ’n‘ Found – Live In Tilburg

Über 100 Minuten pure Emotionen

Artist: Riverside

Herkunft: Warschau, Polen

Album: Lost ’n‘ Found – Live In Tilburg

Spiellänge: CD1 51:34 Minuten, CD2 52:18 Minuten

Genre: Progressive Rock, Progressive Metal

Release: 11.12.2020

Label: InsideOut Music

Link: https://riversideband.pl/en/

Bandmitglieder:

Gesang und Bassgitarre – Mariusz Duda
Gitarre – Piotr Grudziński († 2016, R. I. P)
Keyboard – Michał Łapaj
Schlagzeug – Piotr Kozieradzki

Gitarre – Maciej Meller – Bandmitglied, jedoch nicht auf diesem Release vertreten

Tracklist:

  1. Lost
  2. Feel Like Falling
  3. Hyperactive
  4. Conceiving You
  5. Panic Room
  6. Under The Pillow
  7. The Depth Of Self-Delusion
  8. Saturate Me

  1. Egonist Hedonist
  2. We Got Used To Us
  3. Escalator Shrine
  4. The Same River
  5. Found

Schon beim Schreiben dieser Zeilen stellen sich mir die Nackenhaare auf und ich verdrücke eine Träne. Denn Lost ’n‘ Found – Live In Tilburg ist das letzte verewigte Vermächtnis des 2016 verstorbenen Riverside Gründungsmitglieds Piotr Grudziński. Die gefühlvollen und magischen Melodien des Gitarristen haben den Sound der polnischen Progressive Rock Band in einzigartiger Weise geprägt. Grudziński sagte über seinen Stil: „Geschwindigkeit und technische Perfektion haben mich nie sonderlich interessiert. Ich bin immer auf der Suche nach Klängen und Melodien, die direkt Herz und Seele berühren. Deshalb verehre ich auch David Gilmour so sehr, denn er schafft es nach wie vor auf unnachahmliche Weise, mit nur ein paar Noten unglaublich viel zu sagen.“ Als Fan beider Saitenkünstler lese ich diese Worte immer wieder gerne. Das Audiomaterial war bisher nur als streng limitierte Fanclub-Edition erhältlich. Nun haben Fans der Band oder solche, die es noch werden wollen, das erste Mal die Gelegenheit in den Genuss dieser Aufnahmen zu kommen. Zu haben ist das Konzert als limitiertes Mediabook inkl. Doppel-CD und DVD. Das Videomaterial wird erstmalig veröffentlicht. Zudem gibt es noch schwarzes oder oranges Vinyl als dreifach Gatefold-LP mit der Doppel-CD als Bonus. Für dieses Review liegt mir ausschließlich die Audioversion vor.

Aufgenommen wurde das Konzert Oktober 2015 im niederländischen Tilburg, also gerade einmal vier Monate vor Grudzińskis plötzlichem Tod. Das Poppodium 013 ist nicht nur ein Mekka der progressiven Klänge, sondern auch eine der schönsten und modernsten Konzertlocations, die ich je gesehen habe. Für das wundervolle Cover ist Travis Smith verantwortlich, der u. a. schon Werke von Bands wie Psychotic Waltz, Opeth oder Katatonia veredelte. Die Band konzentrierte sich bei dieser Show auf Songs ihrer 2013 und 2015 veröffentlichten Alben Shrine Of New Generation Slaves und Love, Fear And The Time Machine. Da es sich um meine Lieblingsalben der Polen handelt, bin ich darüber natürlich alles andere als traurig. Die Setlist hätte ich mir nicht besser erträumen können. Keine Angst, auch Fans der älteren Alben kommen in den über 100 Minuten auf ihre Kosten.

Generell kann ich sagen, dass die Songs einen anderen Charakter als in den Studioversionen haben, was nicht jeder Band gelingt. So legen die Lieder des eher ruhigen Love, Fear And The Time Machine Albums an Härte zu und andere werden mit langen Intros à la Pink Floyd dargeboten, ohne den Spannungsbogen zu verlieren. Der Opener Lost wächst dadurch zwei Minuten gegenüber der Studioaufnahme und glänzt zu Anfang durch seine Gilmour-Vibes. Der Sound ist wie beim gesamten Material glasklar, jedes Instrument ist transparent zu hören und der warme Gesang von Mariusz Duda schwebt darüber. Das Publikum ist eher zwischen den Songs zu vernehmen, nicht als mächtiger Chor im Hintergrund. Nach dem entspannten Beginn stellt Hyperactive vom ADHD Album erstmals die härtere und progressivere Seite der Band in den Vordergrund. Angetrieben von Klängen einer Hammondorgel wird der melancholische Gesang richtig schön garstig. Das zum Sterben schöne Conceiving You vom zweiten Album Second Life Syndrom erdet mich wieder mit herzerwärmenden Gitarren- und Gesangsharmonien. Panic Room beginnt mit coolem Groove und die Band zieht die Pause bei „Sweet shelter of mine“ genüsslich in die Länge. An dieser Stelle möchte ich auf die teils persönlichen, teils gesellschaftskritischen und einfach unfassbar genialen Songtexte von Mariusz Duda hinweisen: Irgendwie schafft es der Sänger mit jeder Zeile ganz tief in meine Seele einzudringen.

Machen wir weiter mit den Highlights des zweiten Aktes: Fünf Songs in über 50 Minuten, da fängt das Progherz polyrhythmisch an zu hüpfen. Escalator Shrine wächst dank eines „floydschen“ Intros um stolze acht Minuten gegenüber der Studioversion, das verleiht dem Song eine ganz neue Dimension – genial! The Same River, der Opener der Reality Dream Trilogy kann das Level locker halten. Atmosphäre, Gitarrensoli und der außergewöhnliche Gesang unterstreichen den Status einer Band, die sich von Album zu Album weiterentwickelt hat. Was verloren ist, wird auch irgendwann wiedergefunden und so beschließen Riverside das superbe Konzert mit dem emotionalen Found„Ooh, it’s a lovely life …“

Riverside – Lost ’n‘ Found – Live In Tilburg
Fazit
Eigentlich widmeten Riverside ihrem verstorbenen Gitarristen das Compilation-Album Eye Of The Soundscape. Doch das wahre Vermächtnis von Piotr Grudziński steckt in diesem Livealbum. Wen das Gitarrenspiel des Polen genauso berührt hat wie mich, der kann es mit jeder Faser seines Körpers aufsaugen. Location, Setlist, Produktion, Variabilität, Performance – an dieser Veröffentlichung gibt es wirklich nicht den Hauch einer negativen Kritik zu finden. Da die vier Progressive Rocker auch einen großen Koffer voller Emotionen aus den Niederlanden mitbrachten und für die Ewigkeit konservierten, bleibt mir nichts als die Höchstpunktzahl.

Anspieltipps: Hyperactive, Conceiving You, Escalator Shrine und Found
Florian W.
10
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10
Punkte