Amorphis: 20 Jahre Am Universum – „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past

Im stetigen Wandel oder "Find me the ocean, where waters stand still"

Auch dieses Jahr geht es weiter mit unserer Reihe „On Tour“ Today With Music From The Past. Ein Kriterium war ja, dass die Formation im „Geburtstagsjahr“ des Albums auch live unterwegs ist. Nun gibt es aber leider Corona. Von den ganzen geplanten Festivals und Touren ist nichts mehr von da. Aber: Die Band bzw. die Musiker, welche für die damaligen Bands aktiv waren, könnten ja bald wieder auf Tour gehen. Daher heißt es weiterhin: „Could Be On Tour“.

Mitten in der Corona-Krise 2021 kracht hier das 20-jährige Jubiläum von Am Universum der Finnen Amorphis auf den Schreibtisch. Moment, schon 20 Jahre? Verdammt, wie schnell vergeht die Zeit. Ich weiß noch, wie ich damals völlig irritiert angesichts des unfassbar ambitionierten Artworks des Albums gewesen bin. „Das soll das neue Amorphis Album sein? Sieht gar nicht nach Metal aus! Viel eher nach Kunstprojekt oder Ähnlichem“ Und in der Tat, das Innere überrascht ebenso. Ein durchgestyltes Booklet mit etlichen Filtern über den kryptischen Fotos der Band zog mich umso mehr in den Bann der Band, hatten sie doch bereits mit den nicht weniger faszinierenden Alben Tuonela, dem Götterwerk Elegy und dem Pflichtwerk Tales From The Thousand Lakes die Türe in meinem Kopf meilenweit aufgestoßen. Nun denn, mit einer Riesenerwartungshaltung ging ich an das Album…und wurde vorerst völlig enttäuscht. Enttäuscht, weil Amorphis so gar nicht mehr nach Amorphis klangen, viel eher nach einer stark elektronisch angehauchten Rockband.

Am Universum dürfte genau das Album der Band sein, das den meisten Fans aufgrund der Machart sauer aufstößt, ich hingegen finde es mittlerweile großartig, denn ich habe mich in das Album regelrecht hineingearbeitet. Stellt mich auf eine Bühne, ich singe euch jeden Song des Albums, so oft habe ich die Lyrics gelesen, so sehr kann ich sie noch heute auswendig. Für mich funktioniert das Album primär über die knüppelharten Lyrics, die der alte Sänger Pasi Koskinen wunderschön deutungsoffen verfasst hat. Eigentlich schade, dass er so gar nicht mehr bei Amorphis auftritt (auch nicht als Gastsänger), denn seine einzigartige metallene und eiskalte Stimme hat vom Timbre einmalig gut zu der damals eingeschlagenen Richtung der Band gepasst, die sich schon auf Elegy, mehr noch auf Tuonela, angebahnt hat. Erfrischend finde ich immer noch, dass die Lyrics des Albums weg vom folkloristisch angehauchten und direkten Einbinden der finnischen Folksepen Kanteletar/Kalevala gehen, stattdessen eine direkt existenzialistische Perspektive einnehmen, die immer schon die große Stärke von Pasi Koskinen gewesen ist, viel versierter als dies beispielsweise der aktuelle Shouter Tomi Joutsen kann. Versteht mich nicht falsch, ich liebe Amorphis wie sie jetzt sind und bringe der Band große Treue und Ehrfurcht entgegen, liebe aber auch den etwas offeneren Ansatz, den die Band damals gehen wollte und den viele Fans nicht erkennen konnten; hierbei verweise ich auch gerne auf das Far From The Sun Album zwei Jahre später, was nicht ganz die Qualität von Am Universum hat, aber immer noch verdammt gut ist. Es wäre schön, wenn die Band ihre aktuelle Spielweise mit dem etwas künstlerischen Ansatz des frühen Milleniums vereinen könnte, ein sicherlich einmaliger Sound könnte entstehen. Mal schauen, was das kommende Album bringt.

Zurück zu Am Universum – was macht das Album neben dem Artwork und den Lyrics noch aus? Ganz klar die musikalisch experimentellen Ausflüge der Band, die sich auch noch heute, leider nicht mehr so deutlich, im Sound widerspiegeln und sich hier als DNA des Tales…/Elegy/ Tuonela – Materials manifestieren. Damals war man sehr mutig und musste sich vom bereits faulenden Folk Metal Korsett etablieren, was bereits im Auftakt Alone wunderbar nachzuhören ist. Neben den konstant wabernden Hammondorgeln brandet Riffmeister Esa Holopainen Jahrhundertriffs ins Ohr des Hörer und wird dabei von Niclas Etelävuori, der erst 2017 ausstieg und wieder Platz für Urmitglied Olli Pekka Laine gemacht hat, kernig unterstützt. Darüber drischt Tomi Koivusaari seine zweite Gitarre, bis ein tolles Saxophonsolo in nicht zu überbietender Dramatik den Song auf eine neue Ebene hebt. Auch Goddess Of The Sad Man, The Night Is Over, Shatters Within und das mächtige Crimson Wave bestechen mit Spielfreude und lassen die Weite des Nordens in der Musik erklingen, transportieren arktische Kälte mittels Santerio Kallios stets geschmackvollen und super düsteren Keybordpassagen ins heimische Wohnzimmer eindringen. Diese Betonung derer dürfte vielleicht der Grund für das Unbehagen der Fans sein, da dies sehr vom bluesigen Spiel Ray Manzareks bei The Doors inspiriert ist, und die mag bekanntlich nicht jeder. Dynamische Avantgarde lässt sich im rhythmusorientierten Shatters Within nachhören, welches mit einem zum Niederknien gesegneten Pre Chorus ausgerüstet ist, der den nicht minder erhabenen Chorus vorbereitet, um dann fast schon meditativ auszuklingen. Ein verkanntes Ohrwurmriff hämmert in Crimson Wave an mein Trommelfell, um erneut sphärisch aufgelöste Saxophonklänge in Moll strahlen zu lassen, sehr schick, sehr anspruchsvoll und maximal innovativ. Drifting Memories bewerte ich eher als Übergangsstück zur zweiten Hälfte des Album, die mit dem zornigen Forever More, dem entspannten Veil Of Sin (damals als Single ausgekoppelt), Captured State und dem edlen Grieve Stricken Heart den Hörer maximal irritiert zurücklassen. Auf dieser zweiten Seite des Albums findet man auch den eher vertrauten Amorphisklang in Veil Of Sin, was auch der Grund für die damalige Singleauskopplung gewesen sein dürfte. Captured State ist der kleine Bruder von Shatters Within, denn die beiden Stücke führen einen Dialog mittels der starken Drumparts, die scheinbar mühelos die Band zu Höchstleistungen antreiben. Mit Grieve Stricken Heart geht eines der faszinierendsten Amorphis Alben in die letzte Runde, was nach 20 Jahren überhaupt keine Abnutzungserscheinung aufweist – im Gegenteil, das Album ist wie guter Wein und wird immer besser. Vielleicht ist das Album auch nachhaltiger und markiert aufgrund seiner Außergewöhnlichkeit einen Wendepunkt im Bandschaffen, der aber nach dem Ausstieg von Pasi Koskinen und seinem letzten Album Far From The Sun (leider) wieder eingestampft wurde, aber hoffnungsvoll unter der Oberfläche schlummert. Klar, aktuell sind Amorphis mehr Metal als damals, aber auf Am Universum zeigt die Band ihr unglaubliches Können und das noch lange nicht ausgeschöpfte Potenzial. Ich glaube auch nicht, dass das kommende Album erneut die Gleichförmigkeit der letzten Amorphis Alben aufweist, ich erwarte etwas Großes.

Die weiteren Ausgaben der kleinen Serie:

Lest hier auch die Januar-Ausgabe unserer „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Hammerfall: 20 Jahre Renegade

Hier kommt ihr zur Februar-Ausgabe unserer „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Destruction: 20 Jahre All Hell Breaks Loose

Klick hier für die März-Ausgabe unserer „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Papa Roach: 20 Jahre Infest

In der April-Ausgabe gab es in der „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: The Offspring: 20 Jahre Conspiracy Of One

Schaut euch auch die Mai-Ausgabe der „On Tour“ Today With Music From The Past Reihe an: Iron Maiden: 20 Jahre Brave New World

In der zweiten Mai-Ausgabe wurden Stratovarius mit „Could Be On Tour Today With Music From The Past” und Infinite vorgestellt

Für die Juni-Ausgabe, hatten wir uns Virgin Steele mit „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past und The House Of Atreus Act II  vorgenommen.

Hier kommt ihr zur ersten Juli-Ausgabe unserer „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Limp Bizkit: 20 Jahre Chocolate Starfish And The Hot Dog Flavored Water

Die zweite Juli-Ausgabe von „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past beschäftigt sich mit Linkin Park und Hybrid Theory

In der August-Ausgabe gab es eine Doppelpack in einer Story von „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past, es geht um zwei Bands aus Göteborg, Haven von Dark Tranquillity und Clayman von In Flames

In der Oktober-Ausgabe von „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past geht es um die Mitbegründer des Progressive Metal, Fates Warning und ihr Werk Disconnected

In der ersten November-Ausgabe von „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past widmen wir uns den Dänen Pretty Maids und ihrem Album Carpe Diem.

Hier kommt ihr zur zweiten November-Ausgabe unserer „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Rhapsody: 20 Jahre Dawn Of Victory

Im dritten Teil unserer November-Ausgabe unserer „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past Reihe wird das Album Verlierer Sehen Anders Aus der Düsseldorfer Punkrocker Broilers beleuchtet.

Hier kommt ihr zur zweiten Dezember-Ausgabe unserer „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past Reihe: Deftones: 20 Jahre White Pony

Die dritte Dezember-Ausgabe trägt den Titel 20 Jahre We Are Motörhead von und mit Lemmy und seiner Band Motörhead im „Could Be On Tour“ Today With Music From The Past Gewand.