Time For Metal Zeitreise – Rage – Unity

Klassiker von damals neu gehört - mit René W. und Florian W.

In dieser Kolumne plaudert Redakteur Florian W. mit Chefredakteur René W. ein bis zweimal im Monat über einen Klassiker der Metal- und Hardrock-Geschichte. Der Fokus liegt dabei nicht auf Bands aus der zweiten Reihe oder auf vergessenen Underground-Perlen. Die Time For Metal Zeitreise ist die Bühne für die einflussreichen und großen Bands unserer Szene. Hier wird über deren Alben gefachsimpelt, sich erinnert, diskutiert und manchmal auch gestritten. Von Fans für Fans.

Lehnt euch gemütlich zurück und erinnert euch mit uns an die alten Zeiten und die großen Momente, die uns alle so sehr geprägt haben.

Heute: RageUnity aus dem Jahr 2002.

René W.:
Wie schon in der letzten Zeitreise angekündigt, unser lieber Andreas B. hat diese Kolumne verlassen, dafür ist Florian W. fest im Team und wir haben für euch bereits 13 spannende Folgen für dieses Jahr geplant. Des Weiteren freuen wir uns über Gäste, die uns bei den Klassikern mit ihren persönlichen Gedanken unterstützen werden. Das erste Wunschthema von Flo führt uns zur deutschen Heavy Metal Formation von Peavy Wagner, der seit den 80ern die Flagge von Rage weit in den Himmel reckt. Wir werden jedoch nicht über Reign Of Fear, Perfect Man oder The Missing Link sprechen, auch eine meiner Lieblingsscheiben, Black In Mind, lassen wir links liegen und steuern direkt auf Unity zu. Die kürzeste Zeitreise und erste innerhalb dieses Jahrtausends zum 20. Geburtstag, da müssen wir einfach über die elf Songs (plus zwei Bonussongs) sprechen.

Höre ich Rage, dann geht das Herz gleich auf. Wie ihr wisst, liegen meine Heavy-Metal-Wurzeln bei Iron Maiden, Blind Guardian und eben Rage. Mein Kumpel ist großer Fan der Truppe und wir feiern die großen Hits noch heute in regelmäßigen Abständen. Unity war eine der ersten Scheiben, für die mein hart verdientes Taschengeld über den Tresen wanderte. Damals gab es keine Streamingdienste, da musste man die Alben tatsächlich noch kaufen, wenn man die neue Musik seiner Helden hören wollte. Flo, du hast dich direkt für Unity entschieden, daher der Vorschlag, 2025 (40 Jahre) über Prayers Of Steel zu sprechen, als die Band noch Avenger hieß. Um jetzt nicht ganz vom Thema abzukommen, denn in meinem Kopf sprudeln nur so die gelebten Geschichten, geht der Blick bewusst nur auf die Zeit des heutigen Silberlings. Rage zählen zu den Acts, die meine Augen am häufigsten auf einer Bühne gesehen haben. Das liegt nicht nur daran, dass Rage immer fleißig touren, sondern weil die Shows immer pure Heavy-Metal-Leidenschaft entfachen. Mein Lieblings-Line-Up hat die Songs von Unity eingespielt. Angeführt von Peter „Peavy“ Wagner am Mikrofon und Bass, kann man vor Victor Smolski dem Seitenhexer vor Huldigung nur auf die Knie gehen.

Mike Terrana ist für mich persönlich einer der verrücktesten und besten Schlagzeuger des Business. Alleine vor diesem Trio standen wir ein Dutzend Mal grölend vor der Bühne. Ein Höhepunkt war die Orchester-Show 2007 auf dem Wacken, die ich wirklich nicht missen möchte. Eine spezielle Clubshow in Osnabrück habe ich seit Jahren im Kopf, meine kleine Schwester war mit dabei und hatte von Victor ein Kuscheltier geschenkt bekommen. Das war für sie schon saucool, zudem zockten sie zusammen mit Jen Majura den Song Dies Irae, ein Lebenstraum eines Unity-Liebhabers. Zum Geburtstag gab es von meinen Jungs dann noch das komplett unterschriebene Tourshirt, was immer noch wohlbehütet in meinem Besitz ist. Rage waren von 2000 bis 2010 einer meiner wichtigsten Bands und haben meine musikalische Entwicklung unglaublich geprägt. Peavy, falls du das lesen solltest, meine Person und mein meist ebenfalls gut angeheiterter Kumpel sind die beiden Idioten, die dich immer zum Basssolo aufgefordert haben. 😀 Einmal zwischen den Songs musste er lachend feststellen, „ihr beiden schon wieder“. 😀 Uns wirst du definitiv nicht mehr los und vielleicht gibt es endlich mal ein Basssolo, Herr Wagner. Da meine Tarnung jetzt aufgeflogen ist, dürfte schon bald ein Kopfgeld folgen. Wie ihr schon merkt, eine Zeitreise reicht gar nicht aus und bevor das hier völlig ausartet, geht das Wort zu meinem Mitstreiter.

Florian W.:
Mein Lieber, ich merke schon, das wird ein umfangreiches Ding. Um mal mit Peavys Worten aus World Of Pain zu starten: „Oh, how good it was a long, long time ago.“ Wie ihr schon oft lesen durftet, prägte die Zeit Anfang der 2000er ähnlich wie bei René auch meinen Musikgeschmack. Bei unserer Savatage-Zeitreise stellten wir ja beide schon fest, dass Rage genau wie Savatage reichlich unterbewertet sind. Und das, obwohl mir der gute Peavy sowohl im Interview als auch im Podcast erzählte, dass er schon seit Ende der Achtziger von der Musik leben kann. Das soll erst mal jemand nachmachen. Mit den beiden Gesprächen ist übrigens ein Traum in Erfüllung gegangen. Peter Wagner gehört für mich zu den sympathischsten Frontmännern des gesamten Metalgenres. Ich werde den Moment Mitte letzten Jahres wohl nicht vergessen, als auf meinem Handydisplay stand: „Peavy ruft an.“

Mein erster Kontakt zur Band dürfte ein Jahr vor Unity entstanden sein. „Schuld“ war wie so häufig die CD-Beilage des Rock Hard Magazins, auf der der Song The Mirror In Your Eyes vom Album Welcome To The Other Side zu hören war. Das Einzige, was mich damals davon abhielt, mich näher mit der Band zu beschäftigen, war die merkwürdige Produktion des Albums. Das Drumintro hört sich an, wie ein zusammengestürztes Gerüst. 😀 Da legte Charlie Bauerfeind anno 2002 bei Unity mehrere Schippen drauf. Auch 20 Jahre später kann der Sound noch mithalten. Bis zum aktuellen Album Resurrection Day hätte ich deine Aussage unterschrieben, dass das Trio Wagner, Smolski, Terrana zum besten Line-Up der Rage-Geschichte gehört. Doch das Aktuelle ist verdammt nah dran. Damals klang es durch die vielen neoklassischen Elemente anders, aber genauso überragend. Mike Terrana an den Drums ist echt ein verrückter Vogel. Ihn verfolge ich schon seit Metaliums Debütalbum Millennium Metal (1999).

Foto: Lars Thoke

Live konnte ich Rage auch schon ein halbes Dutzend Mal bestaunen. Das macht immer Bock und bringt nahezu jedes Mal tolle Erinnerungen mit sich. So war meine erste Begegnung mit den Legenden 2003 auf dem Blind Guardian Open Air, nur um dich mal wieder neidisch zu machen. Da Unity erst ein Jahr vor dem Festival erschien, gab es natürlich auch Songs wie Down oder Set This World On Fire auf die Horchlappen. Ich habe nach diversen Runden Unity soeben festgestellt, dass eine Top drei echt hart wird. So viel tolles Material. Ich glaube, bei einem aktuellen Review gäbe es locker neun bis zehn Punkte.

Eine weitere bleibende Live-Erinnerung war das Konzert 2012 in Braunschweig mit Tyr und Communic. Was für eine absurde Mischung und ein geniales Line-Up. Irgendwann habe ich mich mal mitten in der Nacht auf dem Rockharz für Rage vor die Bühne gestellt und wurde nicht enttäuscht. Genauso wenig wie 2016 bei mir um die Ecke in Goslar. Es gab die ganze Zeit Probleme mit der Technik, was den Auftritt um locker zwei Stunden verzögerte. Als Entschädigung gab es Schnaps auf Kosten des Hauses – der Rest ist Geschichte. 😀 Puh, ich merke schon, dass wir beide Sabbelwasser getrunken haben. Um mal wieder die Kurve zu kriegen: Welche Songs auf Unity kann man mal auf voller Lautstärke mit den Nachbarn teilen?

René W.:
Danke, dass du wieder Salz in die Wunde streuen musst. Wir wollten auch zum Blind Guardian Open Air fahren, wie du weißt, da ich damals erst 15 Jahre alt war, hatten meine Eltern jedoch ein Veto eingelegt. Egal, machen wir mit dem Silberling weiter und du hast recht, eine Top drei wird brutal, spätestens zum Ende müssen wir diese nichtsdestotrotz offenlegen. Da einer meiner Nachbarn gerne mal Accept, Judas Priest oder Metallica laufen hat, würde ich ihm Insanity oder auch Mystery Trip empfehlen. Hast du auch jemanden im direkten Umfeld, mit dem ein Bier zu Rock oder Metal getrunken werden kann?

Lange Rede, kurzer Sinn, All I Want rollt an. Leck mich fett, kannst du dir vorstellen, wie derbe ich mit 15 mit dem Opener ins Sofa gedrückt wurde? Meine damaligen zwei besten Freunde und meine Person haben den Release-Abend genutzt, um die Platte rauf und runter zu hören. Dadurch kamen wir viel zu spät in die Kneipe, wo wir uns mit den anderen Verrückten treffen wollten. Am Ende der durchzechten Nacht saßen wir wieder vor der Anlage und haben die Platte nochmals laut aufgedreht. Nebenbei, Welcome To The Other Side geht mir persönlich gut ins Ohr. Ein Leben ohne Paint The Devil On The Wall, The Mirror In Your Eyes und Straight To Hell kann man doch gar nicht wollen, oder?

Rage – ROCKHARZ 2017

Wo waren wir stehen geblieben? Genau, All I Want. Der beste Opener der Bochumer aller Zeiten? Grandios allemal! Peavy tritt einem so was von in den Arsch, da muss man selbst im heimischen Wohnzimmer um den Tisch pogen. Mit 15 Jahren haben wir das jedenfalls gerne mal gemacht. 😀 Die Riffs bringen Stimmung. Das Trio wirkt total angriffslustig, trotzdem entwickelt die Nummer einen schönen „Groove“, wie Herr Wagner auch gerne zu sagen pflegt. Der Refrain wurde perfekt gewählt, da geht das Heavy-Metal-Herz auf.

All I want is my own integrity
All I want is a chance of being free
It could be heaven on earth if we are one
All I want is to end what I’ve begun
That’s all I want

Der jugendliche Rebel kommt voll auf die Kosten und mit den Gedanken an die Zeit von vor 20 Jahren geht es zurück zu dir Flo.

Florian W.:
Um direkt mal zu unterstreichen, wie viele überragende Songs Unity zu bieten hat: All I Want ist ein nahezu perfekter Opener und landet trotzdem nicht in meiner Top 3. Der einzige Erbsenzähler-Grund ist, dass er im Vergleich zu anderen Nummern für meinen Geschmack zu wenig in den Arsch tritt über die gesamten fünf Minuten. Als Jugendlicher empfand man das natürlich viel heftiger. Der perfekte Rage-Opener ist und bleibt Black In Mind, der alles abreißt. Dennoch hat All I Want die eingängigen Strukturen und einen tollen Refrain, der direkt im Ohr hängen bleibt. Dieses Brodeln zu Beginn und die Drums kündigen Großes an und halten ihr Versprechen. Dann das Ausreißer-Solo von Mr. Smolski und der Mitklatschpart gegen Ende. Du hast es bereits geschrieben, viel mehr kann man sich von einem Opener nicht wünschen. Um deine Frage aufzugreifen: Leider habe ich niemanden in der unmittelbaren Umgebung, mit dem ich bei einem Bierchen zu Metal abfeiern kann.

Meine erste Medaille geht an den zweiten Song Insanity. Das Riff zum Einstieg haut mich auch nach fast zwanzig Jahren aus den Latschen. Dann Peavys dreckiges Lachen nach der ersten Zeile. Was dann folgt, ist keine Runde „Wilde Maus“, sondern der freie Fall. Beim Refrain ballt sich meine Faust wie von selbst und schnellt gen Himmel. Diese Thrash-Elemente stehen Rage ausgezeichnet. Ähnlich wie du habe ich damals mit meinen besten Kumpels zur Scheibe abgefeiert. Einer von uns dreien kaufte stets ein neues begehrtes Album von seinem knappen Taschengeld. Dann trafen wir uns und die Post ging ab zu Rage, Metalium, Blind Guardian, Helloween oder Gamma Ray. Ich bleibe auf dem Treppchen und schaue rüber zu Down. Peavy würde natürlich wieder den Groove in den Vordergrund stellen. Ist schon ein Original der Gute. Das Lied hat einfach diese unbändige Power, die auch im Video eingefangen wurde. Da war Herr Wagner noch mit langer Mähne zu sehen. Jetzt hat sich seine Haarpracht zum Bart hin verlagert. Dieses Smolski-Solo ist schon eine wahre Pracht. Als Fan so mancher Guitar Heroes läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Der Refrain ist so simpel wie genial. Vor allem mit den „Down“ Shouts kann man das Publikum zum Toben bringen:

See you going down (down)
I am a real survivor
I’ll see you going down
See your ass go down (down)

Bevor ich meinen Erinnerungen wieder freien Lauf lasse, möchten die Leser und ich noch wissen, welche Songs außer All I Want dein Blut zum Kochen bringen?

René W.:
Witzig, beim besten Opener kam mir zur Konkurrenz von All I Want auch gleich Black In Mind in den Kopf. Mein Blut zum Kochen? Du versuchst schon wieder vorm Ende meine Top drei herauszulocken. Zunächst mal greift Insanity wunderbar in das Rad des Openers, nimmt die Power mit, hat selber einen fetten Refrain und kann komplex, aber trotzdem im lockeren Heavy-Gewand punkten. Noch in unserem Battle-Modus vom besten Album des Jahres 2021 würde mir ein Emoji hier für eine Seite sehr schwerfallen, weil ich beide Songs in ihrer Umsetzung sehr schätze. Für mich gehören die beiden Tracks im Verbund immer hintereinander abgespielt. Den Cut gibt es dann mit Down. Noch bösartiger, wilder und mit dem Messer zwischen den Zähnen geht das Trio wie im Video in eine wilde Schlacht. Das Musikvideo passt jedoch überhaupt nicht in die Vorstellung, die in meinem Kopf von Down herumspukt. Damals auf MTV lief an einem Abend immer Metal und Rage waren mit dem Video vertreten. Der Song haute alle weg, um mich nicht zu wiederholen, die grafische Untermalung holt sicher einige ab, nur bei mir ging es ohne positiven Effekt vorbei.

Die Krone bekommt Set This World On Fire. Nach den eh schon genialen drei ersten Werken hauen die Lyrics immer noch voll rein. Der Refrain treibt die Faust nach oben und vor der Bühne versprüht die Nummer die geliebte Rage-Attitüde. Die Gitarrenpassagen von Victor klingeln im Ohr, Peavy ist on fire und Mike trommelt ganz humorlos seinen Part herunter. Das Solo ab 3:40 von Herrn Smolski treibt jedem Liebhaber Tränen in die Augen. Schade, dass es dieses Trio wohl nie wieder geben wird. Für eine Show z. B. als Special auf einem Festival würde ich jede Anreise in Kauf nehmen.

Wer Dies Irae schon einmal live erleben durfte, weiß, wie explosiv dieser Titel abgeht. Schon brutal, hier eine Top drei nennen zu müssen, Flo. Richtig festlegen möchte man sich doch gar nicht, oder? Da du mich dazu immer verpflichtest, kommt zähneknirschend: Set This World On Fire, Dies Irae und All I Want, gefolgt von Down, Insanity und dem langen Epos Mystery Trip, der als Bonus auf Unity zu finden ist. Bevor es weiter zu dir geht: World Of Pain – Genie oder der nächste Wahnsinn? Gut, jedoch im Vergleich zu den anderen Titeln etwas weiter hinten anzusiedeln. Peavy bekommt so viel Charme in die Komposition. Neben dem thrashigen Muster lockert er die Session gar liebevoll auf. Den Rest erledigt dann Victor, der ab der Hälfte einfach mal eine klare Ansage abgibt. Filler gibt es für meinen Geschmack nicht einen einzigen auf Unity.

Florian W.:
Natürlich möchte ich direkt deine Favoriten abfragen. Karten auf den Tisch und nicht lang geschnackt. 😀 Womit wir wieder beim Thema wären. Weil es so schön einfach ist, sind meine Top drei auf dem Album gleich hintereinander. Insanity, Down und meine absolute Nummer eins Set This World On Fire. Schon als wir diese Zeitreise planten, habe ich mich wieder auf die Nummer gefreut. Dieser getragene Beginn, mit den betonten „Fireee“ Endungen von Peavy und danach bricht die Hölle über mich herein. So ein Abriss, bei dem trotzdem die eingängigen Parts nicht auf der Strecke bleiben. Beim Refrain stellen sich meine Nackenhärchen auf und ich höre förmlich das lautstarke Publikum, das Peavy aus der Hand frisst. Oh man, ich leide echt unter akutem Konzertentzug. Wie du schon richtig festgestellt hast, möchte man sich nicht festlegen, was die Topsongs auf Unity angeht. Deshalb ein kurzer Sprung zum Titelsong, der als Instrumental ohne die Bonustitel am Ende der Platte steht. Beim Drumsolo auf dem Blind Guardian Open Air kündigte Mike Terrana nur lässig an: „It’s time to fuck this Drumkit.“ Die neoklassischen Soloeinlagen von Victor Smolski sind natürlich ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Überzeugt euch selbst mit diesem Video aus der legendären Zeche in Bochum:

Klassisch anmutend tritt auch Dies Irae auf den Plan und ist ein Querverweis zum Lingua Mortis Orchestra. Da bin ich wiederum neidisch auf deinen Besuch beim Orchesterkonzert auf dem Wacken. So cool ich die eigentliche Songstruktur von Dies Irae auch finde, wirkt der Chor irgendwie gezwungen. Das haben sie 2013 unter dem LMO-Banner deutlich besser hinbekommen. Klassik und Metal ist neben der Außenseiterrolle der nächste gemeinsame Nenner zu Savatage. World Of Pain steht bei mir deutlich höher im Kurs. Das liegt zum einen an dem großartigen Text, der auch heute noch aktuell ist. Denn die „Nach mir die Sintflut“ Einstellung der Menschheit manövriert uns mal wieder geradewegs auf den Abgrund zu. Dann wäre da noch dieser Wechsel zwischen Geschwindigkeit und einer gewissen Lässigkeit. Hat bei mir an Sympathie gewonnen, seit Beginn der Zeitreise. Bevor es zu den nächsten drei Songs geht, die mir nicht so im Gedächtnis hängen geblieben sind, gebe ich erst mal wieder zurück ins Funkhaus.

René W.:
Da haben wir doch wieder viele gleiche Nenner auf Unity. Schon spannend, was diese Zeitreisen immer aus uns herauskitzeln und wo wir beide unabhängig voneinander die gleiche oder ähnlich Meinungen vertreten. Ausnahmen bestätigen ganz sicher die Regel. Shadows legt als Intro für Living My Dream vor. Die Ballade schwankt zwischen Licht und Schatten. Neben dem für mich sehr aussagekräftigen Refrain dringt mehr Beiwerk als bei den anderen Hits in die Ohren. Peavy ist voll dabei, aber auch da eher beim Refrain, wo er an die Grenzen seiner hohen Vocals geht, ohne in alte Avanger Zeiten zu verfallen. Zeit zum Durchatmen bleibt jedenfalls, bevor Seven Deady Sins das Thrash-Tanzbein schwingt. Lange mochte ich die Nummer nicht, je öfter man diese hört, umso positiver nimmt man die Melodien auf. Locker im Taktgewitter gleitet die Gitarre über die groovigen Passagen. Wie beim Vorgänger bleiben die Textwiederholungen am stärksten im Ohr. You Want It, You’ll Get It haut das wieder raus. Warum vergesse ich nur immer diesen Titel zu erwähnen, wenn es um Unity geht? Mein Favorit im letzten Drittel zwischen Shadows und eben You Want It, You’ll Get It. Im direkten Vergleich haben die ersten sechs Hymnen die Nase vorne, trotzdem betone ich das durch die Bank weg hohe Niveau vom Anfang bis zum Ende.

An instrumentellen Bands und Songs muss man Spaß haben. Wie ist es bei dir, kannst du auf einen Gig fahren, bei dem Musiker deinen Kopf ohne einen Frontmann zum Kreisen bringen? Oder brauchst du grundsätzlich einen Frontmann, um Steilzugehen? Das über sieben Minuten starke Instrumental hat unglaublich viele Facetten. Das Herz schlägt schneller und vor Victor kann man erneut nur wieder auf die Knie fallen. Herzlich, atmosphärisch und impulsiv – ein brillanter Ritt durch eine Landschaft, die in der Vielseitigkeit an Neuseeland erinnert. Im Anschluss Mystery Trip. Nach dem Instrumental kommt die Brechstange zum Einsatz, bringt den Hörer wieder in die gewünschte Richtung und kombiniert im Prinzip alles, was uns in den letzten Songs so gut gefallen hat, wenn wir Down und Dies Irae mal ausklammern wollen. Nach Mystery Trip ist in meinem Kopf Schluss. Tatsächlich gibt es jedoch noch Fugue No. 5, der etwas deplatziert das Ende inszeniert.

Florian W.:
Recht hast du. Ziel für dieses Jahr: persönliche Besprechung einer Zeitreise bei diversen Hopfenkaltgetränken. Mit der Frage zu den Instrumentalbands hast du mich echt vor eine Aufgabe gestellt. Da musste ich direkt meine stets aktuelle, wenn auch aufgrund der aktuellen Situation etwas angestaubte Konzert- und Festivalliste hervorholen. Beim Überfliegen habe ich tatsächlich keine derartige Band gefunden, obwohl ich sehr gerne Musik höre, die größtenteils instrumental ist. Liquid Tension Experiment und Long Distance Calling fallen mir da als Erstes ein. Als Progfan kommt man live allerdings häufig in den Genuss langer Instrumentalsektionen, die ich auch abfeiern kann.

Weiter geht die wilde Fahrt mit der MS Unity. An dieser Stelle sei erwähnt, dass neben den drei Kapitänen auch andere Größen mit an Bord waren. Da wären so bekannte Sänger wie Hansi Kürsch von Blind Guardian und D.C. Cooper von Royal Hunt, die beide Backingvocals zu den Aufnahmen beisteuerten. Bis auf das abermals schöne Gitarrensolo kann ich auch nach einigen Durchläufen keine große Begeisterung für Living My Dream aufbringen. Ist keine absolute Vollgurke, gehört aber im Albumranking ziemlich weit nach unten. Seven Deadly Sins ist natürlich eine schöne Abrissbirne. Angenehm fallen die leichten Akustikpassagen auf, die immer wieder ihren Platz in der Bridge finden. Beide genannten Songs werden wohl auch in Zukunft keinen Platz in meiner Go-To-Playlist bekommen.

Du hast absolut recht, wie zur Hölle konnten wir nur You Want It, You’ll Get It vergessen. Definitiv ein Kandidat fürs Treppchen. Die perfekte Mischung aus Melodien und Härte und dazu ein majestätischer Refrain. Ex-Zeitreisender Andi B. sagte mal Folgendes zum aktuellen Rage-Song Monetary Gods: „Huch! Rage können Refrains? Das war mir neu.“ Mein lieber Andi, ich hoffe, du liest das hier und hörst dir dieses vor geilen Refrains nur so strotzende Album an. Über Unity habe ich mich zwar etwas weiter oben schon ausgelassen, aber ich gehe gerade wieder steil auf das Instrumental. Hört euch den Solopart ab Minute 01:40 an, oder das Wechselspiel ab Minute 05:00 oder, oder, oder … fetter Scheiß! Was bleibt zu den Bonüssen noch zu sagen? Mystery Trip ist wirklich eine coole Nummer, die ich eins zu eins gegen Living My Dreams tauschen würde. Was sollte eigentlich dieser Blödsinn mit den Hidden Tracks in den 90ern und 2000ern? Na ja, lustig ist das Gequatsche allemal: „You both are drunken pigs – see you on the road soon“, grunzte Mike Terrana ins Mikro. 😀 Bachs Fugue No. 5 ist wieder eine Reminiszenz an die Klassik-Vergangenheit von Peavy und Victor. Gebraucht hätte ich den Song nicht.

Zum Abschluss bleiben mir wieder die schönen Erinnerungen, die Unity mit sich gebracht hat. Die Zeit Anfang der 2000er war eben nicht nur von „musikalischen“ Ergüssen wie dem Ketchup Song geprägt, sondern auch von geilen Metal-Scheiben. Wie bekomme ich jetzt die Kurve zur nächsten Zeitreise? Ach egal! Wenn euch Rage nicht brutal genug waren, hätten wir da was für euch: Wollt ihr uns ins Jahr 1998 begleiten und euch durch blutverschmierte Gedärme wühlen und schreckliche Höllenqualen erleiden? Dann geht im Februar gemeinsam mit René, Cannibal Corpse und mir in die „Selbstmord-Galerie“. Bis dahin – stay brutal!

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