Time For Metal Zeitreise – Fear Factory – Demanufacture

Klassiker von damals neu gehört - mit René W. und Florian W.

In dieser Kolumne plaudert Redakteur Florian W. mit Chefredakteur René W. ein bis zweimal im Monat über einen Klassiker der Metal- und Hardrock-Geschichte. Der Fokus liegt dabei nicht auf Bands aus der zweiten Reihe oder auf vergessenen Underground-Perlen. Die Time For Metal Zeitreise ist die Bühne für die einflussreichen und großen Bands unserer Szene. Hier wird über deren Alben gefachsimpelt, sich erinnert, diskutiert und manchmal auch gestritten. Von Fans für Fans.

Lehnt euch gemütlich zurück und erinnert euch mit uns an die alten Zeiten und die großen Momente, die uns alle so sehr geprägt haben.

Heute: Fear FactoryDemanufacture aus dem Jahr 1995

René W.:
Die letzte Folge unserer Time For Metal Zeitreise mit Symbolic von Death hat uns bereits ins Jahr 1995 getragen und genau da wollen wir weiter verweilen. Die Amerikaner Fear Factory führen uns mit ihrem Klassiker Demanufacture in eine Phase, in der der Industrial Metal entstand und sie selber Neo-Thrash, Groove Metal und Death Metal Komponenten in dieses noch frische Genre rührten. Obwohl weitere gute Studioalben folgten, ist das zweite Werk von Sänger Burton C. Bell für mich persönlich das Wichtigste. Da kommen auch Digimortal oder das neue Langeisen Aggression Continuum nicht heran, wobei die neue Platte wirklich überraschen konnte. Unser Augenmerk liegt jedoch ganz bewusst auf Demanufacture mit seinem quasi durch die Bank weg starken Set, das von Anfang bis Ende alles wegbläst.

Springen wir direkt in meine Jugend: Mit 16 Jahren durften wir bereits auf Tour gehen und uns auch die Nächte etwas länger um die Ohren schlagen. Unsere älteren Kollegen gingen natürlich schon in die örtliche Disco, in der wir auch am Wochenende immer öfter unser Platz am Tresen fanden. Ja, Metalheads in einer Dorfdisco, aber wo sollten wir auch hin, wenn wir nicht gerade auf Konzerte gingen oder zu Festivals fuhren? Das einzig Coole am Laden war die Tatsache, dass wir wohl immer am meisten tranken und von der Mainstream-Spielzeit zwischen Schlager und Scooter jedes Wochenende 20 bis 60 Minuten Rock und Metal serviert bekamen, je nachdem, wie viel los war. Unsere Szene war schon recht beachtlich und Dauergäste der Kneipe wussten schon ganz genau, irgendwann drehen die langhaarigen Besucher wieder für eine bestimmte Zeit durch, um danach wieder gemütlich Alkohol zu konsumieren. Nicht nur das war Standard, sondern auch ein paar Songs – unter anderem Replica von Fear Factory, der quasi jedes Wochenende über die mit schlechter Musik verseuchte Tanzfläche pflügte. Das laute „HA“ brachte, ohne lange zu fackeln, Schwung in die Knochen. Wenigstens wusste der DJ, wie er uns als versoffenes Volk flink vom Nachschub abziehen konnte. Meist gab es im Anschluss Ratamahatta von Sepultura, Maiden, Rammstein oder The Offspring. Nach der Sause voll verschwitzt ging es zurück an die Plätze. Im Nachhinein waren diese Ausbrüche wohl gewollt, damit wir völlig dehydriert die nächsten Krüge leeren konnten. Der Wirt war wohl durch und durch ein Geschäftsmann. 😃

Wir driften ab, zurück zu Demanufacture. Von Replica wie ein Heroinsüchtiger angefixt, musste zweifelsohne nach wenigen Wochen das Album her. Anfang 2000 wurde dafür immer das Original gekauft, schließlich gab es keine Streamingdienste, und anderweitige Kopien kamen für einen truen Headbanger eh nicht infrage. Ich würde gerne selber meinen Gesichtsausdruck sehen wollen, als das erste Mal der Opener und Titeltrack Demanufacture aus meiner kleinen, aber feinen Anlage aus dem weniger friedlichen Kinderzimmer drang. Was zur Hölle machen Raymond Herrera hinter der Schießbude und Bassist Christian Olde Wolbers da bitte? „Krasser Scheiß“, dürfte durch die Gehirnwindungen gewandert sein. Nach dem ersten Durchlauf lief der Track mindestens noch 20 Mal, ohne an Entfaltung zu verlieren. Mein Interesse an Fear Factory war spätestens jetzt geboren. Wie erging es dir Flo?

Florian W.:
Mit 16 dürfte ich im selben Alter zur „Angstfabrik“ gestoßen sein. Leser unserer Zeitreise oder der Geburtstagskolumne haben bereits mitbekommen, wie viel Anteil ein gewisses Metalmagazin namens Rock Hard an meinem musikalischen Werdegang hatte. Nach der Schule oder verbotenerweise in der großen Pause ging mein Weg zielstrebig zum örtlichen Zeitschriftenladen. Bewaffnet mit Dynamit (nein, kein TNT, sondern die gleichnamige Rock Hard CD-Beilage) und einer „bunten Tüte“ war der quälende Schultag gerettet. 2001 befand sich auf besagter CD der Fear Factory-Brecher Linchpin vom Album Digimortal. Was durchbrach da meine Wohlfühlzone aus Power Metal und gelegentlichen Aussetzern in Richtung Eurodance (ja, die böse „Dorfdisse“ war schuld)? Irgendwie Death Metal, aber doch wieder nicht, irgendwie Thrash, aber deutlich moderner, als ich es von Bands wie Kreator, Sodom oder Slayer gewohnt war – eben Neo-Thrash. Von Industrial hatte ich seinerzeit noch nichts gehört. Natürlich vertraute ich der damaligen Redaktion des Rock Hard um Legende Frank Albrecht blind und dieser vergab nie leichtfertig eine Höchstnote, wie eben bei Demanufacture. Die Neunziger hatten einfach mehr zu bieten als Boygroups, DJ Bobo und Scooter. Dieses kann man perfekt an unserem aktuellen Lauf der Zeitreise mit Death, Cannibal Corpse und Fear Factory bemessen. 

Der kalte, brachiale und maschinelle Sound des Werks war allgegenwärtig. Seien es die verelendeten Samples meines damaligen Lieblingsfilms Terminator 2 oder die Instrumentalversionen einiger Songs, die beim Videospiel Carmageddon auftauchten. Letzteres war bei meinen Kumpels und mir schwer angesagt. Genauso wie eben der Sound von Fear Factory, der sogar einen Kumpel überzeugte, der nichts mit Metal am Hut hatte. Dieser kaufte dann auch Demanufacture während unserer Abschlussfahrt in die Niederlande. Die Scheibe wechselte dann regelmäßig zwischen seinem und meinem Discman hin und her. Die von dir bereits erwähnten Drums sind einfach überirdisch (ist alles echt?) und der zwischen ungewöhnlichen Cleans und Hardcoreshouts pendelnde Gesang von Burton C. Bell war etwas, was ich so noch nicht gehört hatte. Bandgründer, Songwriter und Mitproduzent Dino Cazares hat übrigens nicht nur die markanten Riffs auf den sieben Saiten eingezimmert, sondern auch den Großteil der Bassspuren. Der neu hinzugestoßene Bassist Christian Olde Wolbers konnte nicht viel beisteuern. Genau wie mit dem neuen Tieftöner legte sich Dino sogar für die auch heute noch beeindruckende Produktion mit Producer-Legende Colin Richardson (u. a. Cannibal Corpse, Machine Head, Slipknot) an. Ein echtes Herzchen, der Mister Cazares. Sei’s drum, ich bin froh, dass ich ihn und Burton zusammen auf dem 2015er Rockharz abfeiern konnte. Welche „Maschinen“ auf Demanufacture können deiner Meinung nach auch 27 Jahre später für das Ende der Menschheit sorgen?

Burton C. Bell – Fear Factory, Markthalle Hamburg 2015

René W.:
Lieber Flo, meiner Meinung nach kann jeder Track noch heute die Menschheit von diesem ansonsten so friedlichen Planeten schubsen. Gerne schmeißt man, ohne lange nachzudenken, bei einer Platte die Floskel „alle Tracks sind klasse“ heraus. Nach Jahren beweist Demanufacture jedoch immer noch diese Qualität. Einmal mit dem Titeltrack losgetreten, den ich immer noch sehr vergöttere, fliegen einem die nächsten Nummern nur so um die Ohren. Die Riffs zum Einstieg in den Silberling, gepaart mit dem mystischen und elektronischen Groove Thrash lassen in mir einen wilden Stier durchdrehen. Bei zu viel Alkohol beginnt die Ekstase mit der ersten Sekunde und endet erst mit A Therapy Of Pain. Atmosphärisch, sperrig, durch die Sampler unglaublich dynamisch – die positiven Worte reichen kaum aus. Du bzw. ihr merkt, die Platte kann mich immer noch begeistern.

Self Bias Resistor beißt wie ein Pitbull zu und lässt das Opfer nicht mehr aus den Klauen. Der Refrain ist nur fett und zündet das nächste Feuerwerk in den viel zu müden Knochen. Demanufacture bewirkt in mir, völlig steilzugehen – sitzenbleiben bei den Krachern kann man auch nur, wenn man am Stuhl festgebunden wurde. Zero Signal war für mich lange der schwächste Punkt. Mittlerweile verzeihe ich Fear Factory die ersten 40 lahmen Sekunden. Die Melodienwand, die im Anschluss folgt, entschädigt doppelt. Den gesangslosen Part, der erst nach fast 90 Sekunden von Burton C. Bell gepusht die aggressiven Vocals in die Ohren legt, zündet, je älter man wird, immer besser. Raymond Herrera hinter der Schießbude bringt das Blut zum Beben. Die drückenden Sequenzen brechen förmlich den Brustkasten auf. Das Herz hüpft, während die sonst schützenden Knochen den Einblick auf den pulsierenden Muskel gewähren. Was dann alle Dämme brechen lässt, ist Replica. Das Quartett gehört einfach zusammen und darf live von mir aus auch immer hintereinanderweg zum Ende einer Fear Factory Show das finale Feuerwerk bilden. Mittlerweile vergleiche ich Replica mit der Nadel einer Tätowiermaschine. Feine Stiche getriggert, breite Flächen ausgemalt und dazu passend im Einklang des penetranten Refrains die Schatten skizziert. Wenn wir unsere Top 3 auf Top 4 erweitern würden, müssten die ersten vier Nummern herhalten. Da noch eine feine Stufenauswahl zu treffen, wäre mehr als brutal. Demanufacture und Replica buhlen mit den Messern zwischen den Zähnen um Platz 1.

Auf dem Rockharz blieben mir Fear Factory verwehrt, da aus einem privaten Grund das Festival für mich sehr schnell abgebrochen werden musste. Der Stachel sitzt somit immer noch tief. 2006 auf dem Wacken war es ein Abriss, andere Worte fallen mir nach 16 Jahren dazu nicht ein. Staubig, scheiße heiß und mitten in der Nachmittagssonne hat Burton C. Bell mit den anderen Jungs einen Gig auf die Bretter gezaubert, der noch heute unter Fans gefeiert wird. Meine Hoffnung auf ein zweites Mal Fear Factory live ist noch nicht gestorben, wobei es immer wieder sehr ruhig im Umfeld der Band zur Sache geht. Mal schauen, ob das aktuelle Werk Aggression Continuum vom letzten Jahr noch nachträglich eine Tour in Europa anstacheln kann.

Florian W.:
Ich glaube, ich habe dich selten so euphorisch erlebt, wie bei diesem Album, mein Lieber und danke dir jetzt schon, dass wir diese Zeitreise gemeinsam bestreiten. Ansonsten wäre die Band wohl nicht so schnell wieder auf meinem Schirm aufgetaucht. Die Hoffnung auf eine Tour hat sich bei mir spätestens seit dem Ausstieg von Burton C. Bell erledigt. Dieser hatte, welch Wunder, Streit mit Dino Cazares, mit dem anscheinend nicht gut Kirschen essen ist. Ohne die prägnante Stimme des Frontmanns mag ich mir die Amerikaner gar nicht vorstellen. 

Ganz ohne Ausfälle kommt mir Demanufacture nicht davon, doch dazu später mehr. Der unterkühlte und monströse Opener, der gleichzeitig der Titeltrack ist, reiht sich wunderbar in unsere Ansammlung der größten „Firestarter“ aller Zeiten ein. Davon hatten wir ja bereits mit Welcome To The Jungle und Whole Lotta Love zwei Paradebeispiele. Dieser bedrohliche Einstieg mit den jederzeit gekonnt eingesetzten Samples setzt gleich zu Beginn ein dickes Ausrufezeichen. Jedes einzelne Riff schneidet jeden, der es wagt, sich der Maschine in den Weg zu stellen, in Stücke. Die Drums des viel gelobten Raymond Herrera dienen jedem Modern-Metal-Möchtegern als Blaupause. Beginnen die Vocals zunächst hypnotisch, siedeln sie sich kurze Zeit später in den Straßen des New York Hardcore an. Burton ist Prophet und Straßenköter zugleich und darf sich als einer der ersten erfolgreichen Shouter mit einem Mix aus Shouts und Cleans in die Geschichtsbücher eintragen. Die Texte verkörpern Melancholie, Rebellion, Aggression, Aussichtslosigkeit und Frustration und umschreiben den inneren Zwiespalt des Protagonisten, der gefangen ist zwischen Mensch und Maschine. Diese herausgerotzten Zeilen lassen jeden Hörer die innere Zerrüttung spüren:

I’ve got no more goddamn regrets
I’ve got no more goddamn respect

Kann die zweite Nummer bei all der Lobhudelei noch einen oben drauf setzen? Ich sage ja. Das liegt vielleicht an der Tatsache, dass das polyrhythmische Geballer an meine Lieblings-Schweden von Meshuggah erinnert, die im selben Jahr ihr Meisterstück Destroy Erase Improve (hüstl, Zeitreise, hüstl) abgeliefert haben. Diese fiesen kleinen Breaks zu Beginn boxen den stärksten Cyborg aus der Umlaufbahn. Mr. Bell setzt mit dem Refrain endgültig Maßstäbe, was Eingängigkeit und gleichzeitige Unnahbarkeit anbelangt. Zu den ersten beiden Songs kann man nichts weiter als gepflegt eskalieren. Das Intro von Zero Signal hat so viele unverkennbare Terminator-Vibes, da kann das Internet behaupten, was es will. Dort beziehen sich die Samples aus Terminator 2 lediglich auf drei andere Stücke aus der Angstfabrik. Wie dem auch sei, zum Titel als „inoffizieller Terminator-Soundtrack“ hat es gereicht. Die dramatischen Keyboardklänge runden Track Nummer drei geschmackvoll ab. 

Gekonnter Vergleich von Replica mit einer Tätowiermaschine, Herr Wolters. Du wirst noch zum richtigen Wortakrobaten. 😁 Allein das „Huh!“ zum Einstieg haut einem das Fleisch von den Knochen. Was danach passiert, habe ich in der Form bisher nur von Fear Factory gehört. Gefühlte tausend Breaks und trotzdem bleibt der Song wochenlang in den Gehirnwindungen hängen. Die Zeile „Every day I feel anonymous hate“ klingt irgendwie nach einem ganz normalen Arbeitstag. 😆 Um noch mal auf feine Linien und ausgemalte Flächen zurückzukommen: Wie gefällt dir das Cover aus der Feder des Briten Dave McKean, der u. a. für seine Künste in den DC-Comicbüchern Batman und Hellblazer bekannt ist?

René W.:
Fuck! Burton C. Bell nicht mehr bei Fear Factory? Das ist an mir vorbeigegangen und unvorstellbar. Dann hat sich das live erst einmal für mich erledigt. Kann mir auch nicht vorstellen, dass sie mit einem anderen Mann am Mikrofon was starten würden. Spannend wiederum dein Fokus zu Film und Comic-Kunst. Was die bunten Bilder auf der Mattscheibe angeht, habe ich schon immer Defizite gehabt. Entweder standen meine Füße auf dem Fußballplatz, ich saß vor einem Schachbrett oder habe guter, harter Musik gelauscht. Das kurze New Breed bleibt bissig. Taktisch sorgt die Nummer für einen kurzen wie präzisen Punch, dabei gehen die Amerikaner unverblümt vor. Einfach drauf, kurze Breaks und den nächsten Kinnhaken. Technisch limitierter als das erste Quartett gehen die Gäule durch. Dog Day Sunrise bleibt die Wundertüte. Genie und Wahnsinn. Geil oder scheiße. Auch nach den vielen Jahren ist Dog Day Sunrise wie ein Unfall, man will nicht hingucken, muss es aber. Einzig die Tatsache, dass der Titel grundsätzlich auch nicht schlecht inszeniert ist und Spannung aus der Platte nimmt, ohne ganz den Bruch zu vollziehen und Body Hammer wunderbar auflegt. Die Wucht imponiert. Der erste Cleanpart nach etwa einer Minute lässt den innerlichen Propeller aufs neue rotieren. Nicht ganz auf dem Niveau der Top-Tracks, jedoch mit genug Power, um ganze Bergstollen zu sprengen. Manchmal besteht die Sucht nur nach Body Hammer, was sonst nur bei Demanufacture, Replica oder Linchpin der Fall ist. Vom Hardcore-Motor angetrieben, dreht Flashpoint den Fleischwolf flink an. Kurz vor Ende erinnert der Bruch in ruhigere Gefilde an Resurrection, der live schockt und mir als Konzertversion auch zu Hause besser gefällt als die Studioaufnahme. Einer der Höhepunkte vom Nachfolger-Album Obsolete. Wie findest du Obsolete und wann hattest du deinen größten Bruch mit der Band?

Florian W.:
Puh, da hast du mich eiskalt erwischt. Obsolete habe ich gar nicht mehr auf der Pfanne, obwohl ich es damals vermutlich gehört habe. Schon krass, wie sehr sich der Stil dort verändert hat, als ich jetzt mal wieder reingehört habe. Vor allem bei dem von dir angesprochenen Resurrection oder dem sogar noch gemäßigteren Song Timelessness. Bei beiden Nummern fallen mir Querverweise zu Devin Townsend ein, der ein Jahr vor Obsolete sein Überwerk Ocean Machine auf die Menschheit losgelassen hatte. Überhaupt überschneiden sich beide Bands hier und da. So teilten sie sich schon die Rhythmusfraktion um Wunderdrummer Gene Hoglan und Basser Byron Stroud. Hab gesehen, dass Devin sogar zusammen mit Fear Factory auf Tour war. Das wäre die perfekte Kombi für uns beide, da ich ja weiß, dass du den positiv bekloppten Kanadier ebenfalls verehrst. 

Einen richtigen Bruch gab es zumindest bewusst nie mit der Band. Ich bin immer fröhlich zwischen Demanufacture und Digimortal hin und her gependelt und war damit glücklich. Dann habe ich die Jungs aus den Augen verloren, weil meine „Metal-Karriere“ erst durchstartete und die Bands wie saurer Regen vom Himmel fielen. Erst 2015 bin ich zu Genexus wieder in Kontakt getreten, nur um danach wieder lange Zeit nichts mehr von den Amerikanern aufzulegen. Umso schöner, dass wir jetzt darüber schreiben. Weiter geht’s mit der „Aufarbeitung“. New Breed bleibt der Linie treu, ohne an die Klasse der vier Reiter der Apokalypse zu Beginn heranzureichen. Irgendwie verarbeiten die West Coast Kids eine Menge NYHC. Die stoisch wiederholte Zeile „Born, bred, beaten“ beißt sich in der Hirnrinde fest. Wie schon angekündigt und von dir indirekt bestätigt, kommt das unbestritten grandiose Werk nicht ohne Ausfälle aus. Dog Day Sunrise ist ein Cover der einflussreichen britischen Alternative Band Head Of David, aus denen später Godflesh hervorgingen. Was das nervtötende Gejaule hier mitten in einem bahnbrechenden Ausnahmewerk zu suchen hat, wissen wohl nur die Götter – kann weg! 

Dino Cazares – Fear Factory, Markthalle Hamburg 2015

Rammstein, ick hör dir trapsen. Hör dir mal das Introriff zu Body Hammer und danach das ebenfalls 1995 erschienene Debüt der deutschen Pyromanen an. Ja, irgendwer musste ja den Anfang machen und „Amerika ist wunderbar“. Dieser Mittelteil mit den gekonnten Hammerschlägen – Herrschaftszeiten: „Pound, drive, swing, strike.“ Was für ein Pfund. Das Drumming versetzt mich in Verzückung. Hat sich gleich für die Siegerehrung angemeldet, das Teil. Flashpoint kommt mit einem lässigen Bassintro daher und wirkt danach sehr zerfahren. Nur mit dem unverkennbaren hypnotischen Gesang holt mich Burton wieder zurück ins Licht. Müssen wir eigentlich über die Techno-Remix-Version Remanufacture reden oder verlieren wir dann unseren guten Ruf?

René W.:
Ich werde dich nicht davon abhalten, dein Gesicht bei der Techno-Remix-Version von Remanufacture zu verlieren, halte mich da aber gerne raus. 😀 Da wir kurz vorm Ende angekommen sind, bin ich einmal mehr begeistert, welche Erinnerungen die Zeitreise mitgebracht hat. Wir haben schon viele Themen angesprochen, aber jedes hält etwas Neues parat. Alben, die wir beide kennen, finde ich aber genauso spannend wie Werke, bei denen einer mehr als der andere im Regen steht. Am Ende holen wir uns immer ab und hoffen auch, euch Leser erfolgreich zurück in die längst vergangenen Tage getragen zu haben, um eure eigenen Erinnerungen aufzufrischen.

H-K (Hunter-Killer) als Fünf-Minuten-Bollwerk vorm eigentlichen Finale, bringt die Kacke noch mal zum Dampfen. Das Intro des Songs bringt den Puls zurück in normale Geschwindigkeit, um dann wieder mit Einsetzen der bösen Beats völlig aus dem Takt zu geraten. Ein Hit, der aufgrund der späteren Spielzeit auf der Platte, früher oft bei mir hinten über gefallen war. Klar, findet man auch in einer nahezu perfekten Veröffentlichung, wie wir schon festgestellt haben, kleine minimale Haare in der Suppe. Beim Hunter-Killer findet man diese trotz Lupe nicht, oder Flo?

Ich weiß nicht, woran es liegt, aber nach H-K ist oft die Luft raus und ein anderes Album gelangt in die Pipeline. Pisschrist hat viele positive Aspekte: Alleine die Schlaggeräusche auf rostigem Metall, die neben das Drumming gelegt wurden, dürfen nicht verachtet werden. Die Nähmaschinen-Riffs und die atmosphärischen Passagen setzen weitere Höhepunkte. Die lockeren Melodien mit den fast progressiven Vocals bringen uns wieder in die Liga von Devin. Vorhin hatte ich gesagt, ohne Burton C. Bell ist es das Ende von Fear Factory für mich, Devin würde das Ganze jedoch torpedieren und lässt aberwitzige Bilder vor dem inneren Auge erscheinen. Ein Thema für die nächsten Zeitreisen – einfach mal in den Raum gestellt: Strapping Young Lad. Die ehemalige Formation des Kanadiers kann man nur lieben oder hassen und schlägt die perfekte Brücke zwischen ihm und dem heutigen Thema. A Therapy For Pain als Rauswerfer wurde zu lange aufgezogen, der eigentliche Störfaktor im Spektakel ist dann wohl tatsächlich der Ausklang aus dem sonst so brillanten Demanufacture. Warum die Pausen, die unnötigen Klänge? Egal, nach H-K beginnt der Ausstieg ohne Abstriche.

Florian W.:
Nein, auf diese Technoparty werde ich ebenfalls nicht gehen und nur ganz nebenbei werde ich alle Tanzfreunde darauf hinweisen, dass das von dir gelobte letzte FF-Album Aggression Continuum ebenfalls einen tanzbaren kleinen Bruder namens Recoded bekommen hat. Zurück zum unbestritten wichtigsten Album der amerikanischen Angstfabrik. Die letzten drei Nummern schicken mich auf unterschiedlichste Art und Weise über die Ziellinie. Hm, ein Haar in dem flüssigen Stahleintopf namens H-K (Hunter-Killer)? Wenn überhaupt, dann der nicht ganz so starke Refrain gegenüber den ersten vier Göttergaben der Platte. Ansonsten sind die atmosphärischen T2-Samples eine Ohrenweide (gibt es das Wort überhaupt? Frage für einen Freund). Pisschrist hatte ich tatsächlich stark in Erinnerung. Entweder wegen des schmissigen Riffs zu Beginn, oder wegen des wunderprächtigen (ich schaue aktuell zu viel Familie Feuerstein) Zusammenspiels aus brutaler „Ich töte euch alle“-Attitüde und Devin-mäßigen Flächensounds. Wie, was? SYL-Zeitreise: You son of a bitch, I’m in! Geile Nummer, aber ich mache es mir genauso einfach wie du und befördere die Top 3 zur Top 4. Nur, dass bei mir Self Bias Resistor und Zero Signal die vorderen beiden Plätze belegen.

Als bekennender Progfan müsste mir die Spielzeit von fast zehn Minuten beim Rausschmeißer A Therapy For Pain durchaus liegen. Das Ding nimmt mit seiner Langatmigkeit nur jeden Funken Hoffnung aus der Sache. Es soll zwar die Ausweglosigkeit des Protagonisten verkörpern, der nun mal nicht aus seiner hohlen Blechbrust heraus kann, aber das sanfte Hinübergleiten ins Nichts hätte man auch locker um fünf Minuten kürzen können. Dem starken Eindruck des Albums tut das jedoch auch nach 27 Jahren keinen Abbruch. Zum Abschluss muss ein Zitat des 10-Punkte-Reviews von Frank Albrecht (Rock Hard) herhalten: „Diese kalte, maschinelle und herzlose Atmosphäre macht die Scheibe einzigartig.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Für die kommende Zeitreise haben René und ich die Einstellung unseres DeLorean in den Neunzigern belassen. Die Wiedergeburt des Heavy Metal (mal wieder). Wir schwingen den Hammer und reiten (ja, ich hab’s auch gemerkt) mit einer schwedischen Kultband durch das „Metal Age“ und töten dabei den einen oder anderen Drachen. Stay tuned!

Euch gefällt unsere Time For Metal Zeitreise? Dann schaut euch auch gerne die anderen Folgen an:

Time For Metal Zeitreise – Iron Maiden – Killers (1981)
Time For Metal Zeitreise – Metallica – Metallica (1991)
Time For Metal Zeitreise – Helloween – Keeper Of The Seven Keys Part I (1987)
Time For Metal Zeitreise – Helloween – Keeper Of The Seven Keys Part II (1988)
Time For Metal Zeitreise – Grave Digger – Tunes Of War (1996)
Time For Metal Zeitreise – Sodom – Agent Orange (1989)
Time For Metal Zeitreise – Manowar – Kings Of Metal (1988)
Time For Metal Zeitreise – Blind Guardian – Tales From The Twilight World (1990)
Time For Metal Zeitreise – Slayer – Reign In Blood (1986)
Time For Metal Zeitreise – Dimmu Borgir – Enthrone Darkness Triumphant (1997)
Time For Metal Zeitreise – Warlock – Triumph And Agony (1987)
Time For Metal Zeitreise – Scorpions– Crazy World (1990)
Time For Metal Zeitreise – Sepultura – Arise (1991)
Time For Metal Zeitreise – Tiamat – Wildhoney (1994)
Time For Metal Zeitreise – Gamma Ray – No World Order (2001)
Time For Metal Zeitreise – Alice Cooper – Trash (1989)
Time For Metal Zeitreise – Led Zeppelin – II (1969)
Time For Metal Zeitreise – Guns n’ Roses – Appetite For Destruction (1987)
Time For Metal Zeitreise – Savatage – Hall Of The Mountain King (1987)
Time For Metal Zeitreise – Rage – Unity (2002)
Time For Metal Zeitreise – Cannibal Corpse – Gallery Of Suicide (1998)
Time For Metal Zeitreise – Deep Purple – Machine Head (1972)
Time For Metal Zeitreise – Death – Symbolic (1995)